So ist das Staatliche Museum der Palecher Kunst enstanden
E.S. Miljutina
Tak sozdavalsja gosudarstvennyj muzej palechskogo iskusstva.
In: Palech - selo-akademija alʼmanach. Izdatelʼ IP Elšankina M.D., 2017. GMPI, illjustracii, 2017. Ivanovo 2017. Seiten 48 - 54.
Aus dem Russischen von Gabriele Wolf-Keller, M.A., Dr. Felix Keller, Dr. Felix Waechter.

Die Autorin, von 1994 bis 2017 Leiterin der Abteilung für die zeitgenössische Kunst Palechs des GMPI, schreibt als Einleitung zu ihrem Aufsatz:

Der Begriff „Museum" hat seit langem und weithin in das Leben des zeitgenössischen Menschen Einzug gehalten, vor allem als Einrichtung, die Gegenstände (Exponate) der Naturwissenschaft, der materiellen und geistlichen Kultur sammelt, aufbewahrt, untersucht und ausstellt. Weniger bekannt ist die wissenschaftliche Tätigkeit der Museen, ungeachtet der Tatsache, dass dieses Thema in umfangreichen Werken zum Ausdruck gebracht ist.

Eine verhältnismässig neue Richtung in der Arbeit der Museen ist die Museumspädagogik. In Russland begann sich diese Disziplin aktiv vom Beginn der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts an zu entwickeln. Sie vereinigt in sich solche Wissenschaftsgebiete wie die Pädagogik im eigentlichen Sinn, Psychologie, Museumskunde, Geschichte, Kunstgeschichte und die Grundlagen jener Wissenschaften, von denen die Museumsexponate erzählen. Indem sich die Museumspädagogik auf das Material einer konkreten Ausstellung stützt, erfordert sie die Anwendung der Methode eines Dialogs zwischen Vergangenheit und Gegenwart, wobei sie den Besuchern – Kindern und Erwachsenen – hilft, die unzertrennliche Verbindung der Zeiten zu begreifen.

Vom Charakter der Exponate her unterscheiden sich die Museen grundlegend voneinander. Museen, die Kunstwerke sammeln, aufbewahren, ausstellen und untersuchen, nennt man Kunstmuseen. Zu ihnen gehört auch das Staatliche Museum der Palecher Kunst, eines der ersten Museen im Gebiet Ivanovo.
Das Museum in Palech ist nicht zufällig entstanden. Die Voraussetzungen seiner Gründung kamen lange vor 1935 auf.

Nach der Revolution wurde unter den Bedingungen des allgemeinen Zerfalls den Handwerkerartels besondere Bedeutung beigemessen. Im Frühjahr 1919 wurde der Beschluss des VCIK [Allrussisches Zentrales Exekutivkomitee] und des SNK [Rat der Volkskommissare] über die Massnahmen der Unterstützung der Handwerksindustrie herausgegeben. Bis zum 5. Januar 1922 existierten im Land zehntausend Artels. Im Bericht der Unterabteilung für die Kunstindustrie der Abteilung für bildende Künste des Narkompros [Volkskommissariat für Aufklärung] vom 27.Novmeber 1919 heisst es: „Die grundlegende Arbeit der Unterabteilung für Kunstindustrie ist die Schaffung von künstlerisch-industriellen Werkstätten, Schulen, Kursen, Museen …" In der Leitung dieser Organisation wird unter anderen die Werkstatt von Mstera geführt. „Die Werkstatt wurde umgewandelt … ab November 1918 aus einer Ikonenmalwerkstatt. Teilnehmer sind 100 Mann von den örtlichen Handwerks-Ikonenmalern. Unter der Bevölkerung sind folgende Gewerbe verbreitet: Stickerei, Blattmetall und Emaillierung, vor allem aber Ikonenmalerei als Hauptgewerbe. Diese Werkstätten sind umgewandelt worden in künstlerisch-industrielle Kreiswerkstätten in Choluj und Palech."

Eine grosse Rolle in der Propaganda der künstlerischen Gewerbezweige spielte das Handwerksmuseum in Moskau. Es war 1880 von der Moskauer Semstvoversammlung geschaffen worden. 1921 wurde es für Besucher geöffnet, existierte bis 1927, und wurde dann in den Bestand des Wissenschaftlich-experimentellen Instituts für Handwerksindustrie als eines seiner Abteilungen eingefügt. Der Museumsdirektor war A. A. Vol´ter (Maler, bedeutende Persönlichkeit des künstlerischen und öffentlichen Lebens). Die Aufgabe der Abteilung bestand in der Hilfe der technologischen Ordnung für die Handwerker und Artels und in der Ausarbeitung der künstlerischen Richtung der Gewerbebranchen. In der Verordnung über das Handwerksmuseum heisst es: „… das Museum arbeitet neue Methoden und Verfahren auf dem Gebiet der Kunstindustrie auf der Grundlage wissenschaftlicher und experimenteller Daten aus und entwickelt insbesondere unter Anpassung an die zeitgenössischen Bedingungen künstlerische Motive, die der Situation der neuen Lebensweise in Russland entsprechen; es gibt Ratschläge auf gestellte Frage. Das Handwerksmuseum übernimmt die allgemeine ideelle und praktische Leitung der Tätigkeit aller Ortsmuseen für Handwerksindustrie, die sich in der Leitung der VSNCh [Oberster Rat für Volkswirtschaft] und seiner örtlichen Organe befinden."
Das Handwerksmuseum Moskau am Leontevskij Pereulok, 1913.
Zur Lösung dieser Aufgaben läuft im Museum eine ständige Ausstellung, beim Museum wird ein künstlerischer Rat gebildet, in dessen Personalbestand auch A.V. Bakušinskij eintritt. Die Mitarbeiter des Museums organisieren Dienstreisen in die Zentren der Gewerbezweige, führen praktische Arbeiten zur Organisation von Museen (zum Beispiel in Vladimir) durch. In zahlreichen Berichten und Memoranden der 20er Jahre werden regelmässig die Gewerbezweige von Mstera und Fedoskino erwähnt, doch Nachrichten über Palech finden sich sehr selten. Und dies hängt nicht damit zusammen, dass es in Palech in den 20er Jahren keine Handwerksproduktion gegeben hätte (Diplome, die zu Beginn der 20er Jahre von Palechern für die Bemalung von Holzgegenständen erworben wurden, sprechen vom Gegenteil), sondern damit, dass sich Palech gleichzeitig auf den Weg einer eigenständigen Entwicklung machte. Eine unschätzbare Hilfe leistete dabei Anatolij Vasil´evič Bakušinskij. In seiner Autobiographie schreibt er: „Durch meine unmittelbare Beteiligung und unter meiner direkten Leitung entstand und entwickelte sich die Kunst der ehemaligen Ikonenmalzentren von Palech, Mstera und Choluj." In einem Brief vom 28. September 1927 an das Palecher „Artel der alten Malerei" erinnert er: „I.I. Golikov, I.P. Vakurov und A.V. Kotuchin müssen sich gut an jene grosse Arbeit erinnern, die ich mit ihnen im Laufe der 22er, 23er und teilweise 24er Jahre in Moskau geleistet habe, und ebenso mit den übrigen Meistern in den Sommern in Palech von den 23er Jahren an. Diese Arbeit lief auf Gespräche und Beschäftigungen über und mit Kunst hinaus, über die Analyse künstlerischer Formen, auf eine kritische Beurteilung ihrer ersten Erfahrungen, auf die allgemeine Richtung auf jenen Weg hin, der Palech jetzt den allgemein anerkannt Ruhm verleiht … Als Vorsitzender der Expertenkommission der Allrussischen Kunstindustrie-Ausstellung von 1923, bestand ich auf Auszeichnungen für euern ersten Artel und für Glazunov. Ich forderte den ersten Preis für euch an der Landwirtschaftlichen Ausstellung im selben Jahr als Mitglied der Expertenkommission. Ich habe eure Sache entschlossen vor jeglicher Unterjochung beschützt, indem ich das Palecher Handwerk und den Namen der einzelnen Meister gegenüber verschiedenen … Anschlägen verteidigte."
A.V. Bakušinskij mit Künstlern (sitzend vierter von links). Palech. 1935. Archiv des GMPI.
Am 5. Oktober 1931 stellt Bakušinskij in einem Brief an den Narkompros die Frage über die Organisation eines Museums in Palech und schlägt dafür folgende Struktur vor:

1. Lack
2. Porzellan. Fayence.

In beiden Abteilung sollten präsentiert werden: 1. – Musterbeispiele des Stils und der Technik der russischen Kunst, 2. – Östliche Kunst, 3. – Palecher Malerei.

Für das Museum wurde vorgeschlagen, eines der öffentlichen Gebäude von Palech zu verwenden, zum Beispiel das Haus der Safonovs. So beabsichtigte Bakušinskij gleich von Anfang an, in Palech ein Museum nicht unter den Fittichen des Handwerksmuseums zu gründen, sondern als selbständige staatliche Einrichtung. Wenn man die bedeutende Rolle A.V. Bakušinskijs bei der Errichtung des Museums in Palech würdigt, muss man anmerken, dass laut Zeugnis zahlreicher Dokumente die Idee, ein Museum zu organisieren, zum ersten Mal von Efim Fedorovič Vichrev [Schriftsteller] formuliert worden war. Die Notwendigkeit einer Museumsgründung begriff Vichrev bereits im Jahre 1930, als er als Direktor der Museums-Sovchose in Jasnaja Poljana arbeitete. In seinem Tagebuch findet sich unter dem 27. Mai 1931 die Eintragung: „Palech zieht mich mit neuer Kraft an. Ich beabsichtige, in Palech ein Museum zu schaffen. Ich schreibe einen schriftlichen Bericht an das NK [Volkskommissariat] für Aufklärung."

In den 20er Jahren nahmen am Schicksal von Palech auch viele berühmte Leute jener Zeit lebhaft teil: A.M. Gor´kij, A.A. Glazunov [Komponist], A.A. Vol´ter [Maler, Grafiker], Ja.S. Ganeckij … Jeder von ihnen leistete einen Beitrag zum Entstehungsprozess und zur Entwicklung der Palecher Lackminiatur bei. Aber ihre Ansichten unterschieden sich zuweilen so sehr, dass dies in einer unversöhnlichen Opposition mündete. Divergenzen betrafen zum Beispiel Fragen des Vertriebs der Kunsterzeugnisse oder der Beschaffenheit der Palecher Lackarbeiten. Zum Glück waren sich in Sachen der Museumsorganisation Vichrev und Bakušinskij einig. Das Resultat ihres Schreibens an den Narkompros war der Beschluss des Kollegiums der Narkompros und des Präsidiums des Vsekopromsojuz [Allrussische Union der Produktionsgenossenschaft] vom 9. September 1931: „Mit dem Ziel der weiteren Entwicklung des künstlerischen Schaffens des Palecher „Artels der alten Malerei" wird es als notwendig erachtet, folgende Massnahmen durchzuführen: Es wird als unerlässlich erachtet, beim Artel ein spezielles Museum für das Ausstellen der künstlerisch-schöpferischen Errungenschaften sowohl des Artels selbst, als auch der mit ihm kooperierenden Gewerbszweige, zu schaffen."

Das ganze Jahre 1932 hindurch wurde in verschiedenen Instanzen über das Museum entschieden. Schliesslich erschien im Oktober 1932 ein Beschluss des Rates für Arbeit und Verteidigung über die Eröffnung eines Museums in Palech.
Efim Vichrev (rechts) und Ivan Golikov.
(https://e-libra.ru/read/465371-paleh.html).
Im Mai 1932 kam Vichrev nach einer Dienstreise nach Zlatoust [Stadt im Ural] wieder nach Palech. Auf einer Versammlung wählte man ihn in die Museumskommission. Und am 19. Juni merkte er in seinem Tagebuch an: „Das Museum lässt mir keine Ruhe. Man bittet mich, so bald als möglich einen Plan für das Museum auszuarbeiten."

Fast den ganzen Sommer 1932 verbrachte Vichrev in Palech: er sammelte Material für sein Buch „Das Wort wird Palech erteilt" (später wurde der Titel in „den Palechern" geändert), bereitete Dokumente vor und arbeitete am Plan des Museums.

Als Vichrev den Plan für die Eröffnung des Museums rechtfertigte, schrieb er: „Die Ausstellungen der 30-32er Jahre zeigten ein grosses Interesse an Palech von Seiten breiter Schichten der Werktätigen der Sowjetunion, wovon die Zahlen des Zulaufs zu diesen Ausstellungen sowie die Notizen der Besucher sprechen." Die grundlegende Aufgabe des Museums sieht er in der „Schau der Palecher Kunst, beginnend bei den Quellen", in der Bestimmung der Rolle der Kunst von Palech innerhalb der sowjetischen Kunst und der Kunst der Welt.

Grosse Aufmerksamkeit schenkte der Schriftsteller organisatorischen Fragen. Vichrev war der Ansicht, dass zur Entwicklung des Museums ein Kirchenraum und ein einzelnes zweistöckiges Haus nötig seien. Der Kostenplan für das Museum wurde von ihm bis in die kleinsten Details durchgearbeitet und betrug 174 Tausend Rubel. Der wichtigste Ausgabenposten war der Kauf von Exponaten beim Artel. Es wurde geplant, nicht nur Lackarbeiten zu kaufen, sondern auch Beispiele alter Malerei und Porzellan (für das eine wie das andere wurde gleichviel Geld bereitgestellt).
Schatulle Bambusrohre und rosafarbener-hellblauer Vogel. Erstes Drittel 20. Jh. Japan. Holz, Lack. 30,2 cm; Höhe 20,2 cm. GMPI. Erstveröffentlichung.
Palech durchlief zu jener Zeit ein stürmisches Leben. Die Idee, ein Museum zu gründen, fand ein leidenschaftliches Echo bei den Künstlern. Auf einer der Sitzungen beschlossen die Mitglieder des Artels, um die Schliessung einer Kirche und die Übergabe des Gebäudes an das Museum zu ersuchen. Darauf kam es zu einer Versammlung der Kolchose, auf der ein „Bevollmächtigter gläubiger Bauernfrauen/Weibsbilder" dagegen war, und die Besuche der Dörfer zeigten eine negative Beziehung der Bevölkerung gegenüber der Idee einer Kirchenschliessung. Die Kampagne zur Übergabe des Kirchengebäudes an das Museum schlug fehl. Aber die Idee wurde nicht vergessen.

Zu Ende jeden Jahres zog Vichrev Bilanz und setzte Pläne für das nächste Jahr fest. In der Bilanz für das Jahr 1932 notierte er in der Rubrik „Erledigtes": „Plan und Etat für das Palecher Museum". Und im Plan für das Jahr 1933: den Titel „Verdienter Künstler der Republik" für Golikov und Bakanov erwirken; eine Konferenz in Moskau veranstalten und schliesslich „Die Organisation eines Museums".
Schrank Der Wojewode. Fedoskino. 1872. Papiermaché, Öl, Lack. 72 x 54, 5 x 24, 9 cm. GMPI. Erstveröffentlichung.
Nun, das Jahr 1932 endete voller Hoffnung auf die Eröffnung des Museums. Es schien, als ob die Entscheidung, unterstützt in Moskau, von den örtlichen Behörden gebilligt würde, jedoch verging das ganze folgende Jahr mit der Bewältigung bürokratischer Hindernisse. Die Frage der Unterbringung des Museums wurde keineswegs gelöst, ungeachtet der Tatsache, dass der Vorsitzende des „Artels alter Malerei", A.I. Zubkov sich mit diesem Problem mehrmals an den Oblispolkom [Exekutivkomitee des Gebiets] wandte. Im Jahre 1933 liquidierte/schloss der Oblispolkom von Ivanovo durch seinen Beschluss die Kreuzerhöhungs-Kirche in Palech (die Kirche stellte die religiöse Tätigkeit ein). Im Gebietsarchiv von Ivanovo ist das Protokoll der Sitzung des Präsidiums des Exekutivkomitees des Industriegebiets von Ivanovo vom 29. Mai 1933 erhalten. Darin heisst es: „Wir haben den Bericht von A.I. Zubkov gehört. Wir beschlossen: Genosse Lifšic wird beauftragt, ein Museum für Werke von Palecher Künstlern in der ehemaligen Kirche in Palech zu organisieren."

Der Oblispolkom schickte eine Anfrage an die Wissenschaftssektion des Narkompros und erhielt die Antwort über „den Mangel an Hindernissen"/die Antwort, es gebe keine Hindernisse zur Verwendung der Kirche für ein Museum der Palecher Malerei unter der Bedingung, dass die Wandmalerei als Darstellung einer künstlerischen Kostbarkeit erhalten bleibe.
Blochin, N.A. Zeichnung für einen Stoff. 1936. Papier, Eitempera. GMPI. Erstveröffentlichung.
Über diese Entscheidung wurde A.I. Zubkov am 20. September 1933 in Kenntnis gesetzt. Doch im Dezember wandte sich der Stellvertreter des Vorsitzenden des Oblispolkom, Stal´nov,
mit einem Ersuchen im Narkompros an A.S. Bubnov: „Der Oblispolkom von Ivanovo bittet Sie, den Genossen Zubkov, Vorsitzenden des „Artels alter Malerei", mit der Lösung der Frage in den entsprechenden Organisationen zur Schaffung eines staatlichen Museums der alten Malerei in Palech, Kreis Šuja, Gebiet Ivanovo, zu unterstützen." (A.S. Bubnov, gebürtig aus Ivanovo-Voznesensk, war zu jener Zeit Volkskommissar für Aufklärung, Anmerkung der Redaktion).

Bis zum Zehnjahresjubiläum des Artels blieb noch ein Jahr, und die Frage der Gründung eines Museums war immer noch nicht entschieden. Erst am 27. Dezember 1933 beschloss das VCKI [Allrussisches Zentrales Exekutivkomitee] die Kreuzerhöhungs-Kirche in Palech zu schliessen und ihr Gebäude dem Museum zu übergeben.

Ende Januar 1934 hörte man im VCKI E.F. Vichrevs Bericht über Palech an. In seinem Tagebuch notiert er: „Ich wickelte in ein Kattuntuch den „Sadko" von Butorin, und einen Teller von Baženov. Nahm den (am Vorband verfassten) Rapport unter den Arm und begab mich zum CIK [Zentrales Exekutivkomitee] … Ich zeige den Rapport, danach die Unikate … Ich brachte alle Palecher Probleme vor: Schule, Museum … Bei allem – lebhafte Teilnahme."

Am 8. Mai 1934 erschien der Beschluss Nr. 377 des VCIK über die Organisierung eines Museums der alten Malerei in Palech. Leiter der Museumsabteilung im Narkompros war zu jener Zeit Feliks Jakovlevič Kon (namhafter polnischer Revolutionär, Wissenschaftler und Ethnograph, bedeutende Persönlichkeit des öffentlichen Lebens). Gerade mit ihm entschied Vichrev verschiedene Fragen im Zusammenhang mit der Museumsarbeit. Eine dieser Fragen war die Festlegung des Namens für das Museum. Aus allen durchgesehenen Dokumenten ist ersichtlich, dass man das zukünftige Museum unterschiedlich benannte: Museum der Palecher Kunst, Palecher Kunstmuseum, Museum der alten Kunst.

Bekannt ist ein Brief von F.Ja. Kon an N.K. Krupskaja vom 31. Oktober 1934: „Verehrte Nadežda Konstantinovna. Im Beschluss … wird von der Organisierung eines Museums für alte Kunst im Dorf Palech gesprochen. In Anbetracht dessen, dass mit dem jetzigen Namen das Wesen des Museums nicht gedeckt wird, das als sein Ziel hat, auch die Tätigkeit des zeitgenössischen Palech aufzuzeigen, bitte ich, die Bezeichnung des erwähnten Museums in der folgenden Form zu bestätigen: Staatliches Museum der Palecher Kunst." Nach zwei Wochen traf die Krupskaja die Anordnung: „Bin einverstanden."

F.Ja. Kon empfiehlt, Spezialisten für das Museumswesen aus Moskau nach Palech zu schicken. Ab dem 10. September 1934 wurde durch Order des Narkompros German Vasil´evič Židkov zum Museumsdirektor ernannt, und im Frühjahr 1935 wurde Fanni L´vovna Lukaševa nach Palech entsandt, die bis dahin im Historischen Museum [in Moskau] gearbeitet hatte. Sie hatte ihre Ausbildung in Bern erhalten und in Russland die Höheren Frauenkurse abgeschlossen. Die Künstler schätzen die Hilfe Kons hoch in einem Dankesschreiben.
G.V. Židkov mit Künstlern und Mitarbeitern des Museums (sitzend Zweiter von rechts). 1930-er Jahre. Palech. Archiv des GMPI.
Nachdem G.V. Židkov die Ernennung erhalten hatte, traf er sich vor der Abreise nach Palech mit Vichrev in Moskau. Ein Gespräch kam nicht zustande. Im Tagebuch schreibt Vichrev: „Židkov ist zu intelligent." Man kann sich denken, dass es einige Gründe dafür gab, dass Vichrev, der lebhaften Anteil am Schicksal von Palech nahm, keine gemeinsame Sprache mit Židkov fand: fast vier Jahre hatte er sich mit Fragen der Organisation eines Museums in Palech befasst und war müde von den endlosen, zuweilen vergeblichen Behördengängen. Er lebte zehn Jahre lang für Palech, und niemand anderes half Palech von 1928 bis 1934 so wie er. Und jetzt bereitet sich Palech zu einem Jubiläum vor, zur Zehnjahresfeier des „Artels alter Malerei", doch Vichrev fühlt sich beiseitegeschoben und schreibt voller Bitternis im Tagebuch: „Mechanisch/aus Trägheit würde ich mich immer noch für Palech interessieren, aber ich lebe es nicht mehr. Die Liebe kann nicht ewig dauern."

Im Dezember 1934 traf sich Vichrev noch einmal mit Židkov. Sie sprachen lange und ausführlich über das Museum, über Palech im Allgemeinen. Damit endet im Grunde genommen die unmittelbare Arbeit von Vichrev an der Organisation des Museums in Palech: er übergibt gleichsam den „Stafettensstab" an Židkov.

Etwa einen Monat lang macht sich German Vasil´evič Židkov mit Palech und den Palechern bekannt und studiert die Dokumentation. Er kommt zum Schluss, dass das eine Gebäude der Kirche für das Museum nicht genügt. Daher schlug Židkov auf der erweiterten Sitzung des Vorstands des Palecher „Artels alter Malerei" gemeinsam mit den Direktionen des Museums und der Palecher Kunstschule vom 3. Oktober 1934 über die Vorbereitung der Jubiläumsausstellung vor, dem Museum das zweite Obergeschoss des Hauses der Šalagins neben dem Gebäude des Artels zuzuteilen. Die Auswahl wurde gutgeheissen. Doch kurz danach wurde auf einer Sitzung des Präsidiums des Palecher Dorfsowjets dem Museum das Haus von Belousov zugewiesen. Der Eintrag im Sitzungsprotokoll lautete:

„Es wird für wünschenswert gehalten der Tausch gegen ein Haus des Artels für Steppnahtarbeiten [строчевaя артель?]." Am 14. Dezember 1934 wurde ein Vertrag zwischen dem Museum und dem Palecher Artel für Steppnahtarbeiten geschlossen: „Der Artel übergibt dem Museum das ihm nach den Kaufrechten im Dorf Palech, Kreis Šuja, an der Bakanov-Strasse gehörende zweistöckige Haus (das ehemalige Haus von Salautin) im Tausch gegen das ehemalige Haus von Belousov."
Das Buch Palech von Efim Vichrev.
Židkov schlug einen genauer formulierten Plan für die Jubiläumsausstellung vor. Dieser bestand aus den folgenden Punkten:

ZIMMER „A". Palechs Vergangenheit
1. Ikonen an den Wänden, Fotographien von restaurierten Arbeiten, Materialien über die Lebensweise der Ikonenmaler
2. Der mit dem Oktober/der Oktoberrevolution verbundene Bruch in der Tätigkeit der Palecher Künstler. In der Mitte des Zimmers eine Theke mit Bedarfsgegenständen aus Holz. Vitrinen an den Fenstern – die Traditionen der Lackmalerei aus der Fabrik von Lukutin, aus der Werkstatt der Višnjakovs, östliche aus Persien

ZIMMER „B". Palecher Lackarbeiten Prinzip der Schau
1. Puškin und Gor´kij
2. Arbeiten der älteren Generation – wer und wieviel Arbeiten, Entwürfe

ZIMMER „V". Die Aneignung neuer Aspekte der künstlerischen Tätigkeit durch die Palecher: Porzellanbeispiele (10-15 Gegenstände)
Textilbeispiele (15-10 Gegenstände)

ZIMMER „D". Die Arbeit der Schule
1. Beispiele
2. Lackarbeiten der Schüler
Entwicklungsdiagramm.

Der Plan für die Jubiläumsausstellung wurde angenommen, und es wurde folgendes Personalverzeichnis aufgestellt:

Direktor: G.V. Zidkov (er blieb es bis zum 13. Mai 1938);
Stellvertreter: Vasilevskij;
Buchhalter und Sekretär: Markičev F.V. (nebenamtlich war er Kustos der provisorischen Zugänge); Höherer wissenschaftlicher Mitarbeiter: F.L. Lukašova (bis zum 24. April 1936, nach ihr arbeitete M.I. Molodych);
Künstler und Restaurator (Unterer Mitarbeiter): I.V. Belousov;
Höhere technische Angestellte: L.K. Žegalova;
Technische Angestellte: M.I: Chochlova.
Insgesamt: 7 Personen.

Das Jubiläum von Palech wurde einige Male verschoben. Die Ausstellungskommission versammelte sich regelmässig vom November 1934 bis zum März 1935. Man muss anmerken, dass man Vichrev nicht in in diese Kommission aufnahm, aber bei der Sitzung vom 28. Dezember 1934 waren E.F. Vichrev und N.N. Zarudin von der Gesellschaft der Schriftsteller anwesend.

Das war die letzte Reise von Vichrev nach Palech. Zusammen mit einer Schriftstellerbrigade war er wegen der Vorbereitung einer Palecher Nummer der Zeitschrift „Naši dostiženija" [´Unsere Errungenschaften´] gekommen. Efim Fedorovič starb am 2. Januar 1935. Begraben ist er in Palech. Im Nekrolog stand: „Seinen Tod werden viele überleben, aber kaum jemand empfindet diesen Verlust stärker, als die Künstler von Palech … Vichrev schrieb nicht nur feurig, sondern mit übergrosser Liebe über Palech. Er arbeitete mit den Künstlern zusammen und half mit Hinweisen und Ratschlägen. Er nahm tätig teil bei der Gründung der Schule. Er brachte als Erster die Idee der Schaffung eines Museums vor."

Am Tag der Eröffnung des Staatlichen Museums der Palecher Kunst am 13. Mai 1935 eröffnete man neben Hauptjubiläumsausstellung im Gebäude des Artels einige kleinere Ausstellungen, von denen eine „Die literarischen Arbeiten von Vichrev" hiess.

Das Palecher Museum hatte ohne Zweifel Glück – an den Quellen seiner Organisierung standen so hervorragende Leute wie Bakušinskij, Vichrev und Židkov. Ihre Rolle bei der Organisation des Museums ist wahrhaftig unschätzbar: Bakušinskij gab die theoretische Begründung der Organisationsprinzipien für das Museum, Vichrev nahm bei seiner Gründung lebendigsten Anteil, und Židkov als hochprofessioneller Spezialist und Praktiker, verwandelte ihre edlen Pläne zum Leben.