Ein Leben von Gold durchwoben

Aufzeichnungen des Ikonen- und Lackmalers Ivan Ivanovič Zubkov

Im Jahr 1934 publizierte Efim Vichrev, Dichter und Freund der Palecher Lackkunst, ein Buch mit dem Titel

Die Palecher – Aufzeichnungen der Palecher Künstler über ihr Leben und Schaffen, geschrieben im Sommer des Jahrs 1932, mit Abbildungen ihrer Werke.

(Efim Vichrev Palešane – Zapiski palechskich chudožnikov o ich žizni i tvorčestve, napisanye letom 1932 goda i illjustrirovannye imi samimi, Moskovskoe tovariščestvo pisatelej, Moskva, 1934.)
In der Einleitung zu seinem Buch schreibt Vichrev:

Seit sieben Jahren korrespondiere ich ohne Unterbruch mit den Künstlern des Dorfes Palech, ehemaligen Ikonenmalern. Diese Korrespondenz diente als Anlass für die Realisierung des dem Leser vorliegenden Buches. Als ich die alten Briefe der Palecher noch einmal las, wurde mir klar, dass sie viele wertvolle und gesellschaftlich wichtige Aussagen enthalten: Die Briefe setzen sich mit Fragen zur Psychologie ihres Schaffens, zum Stil und zur Technik der Palecher Malerei und zur Geschichte der Palecher Kunst auseinander. Im Weiteren enthalten sie biografische Daten aus dem Leben einiger prominenter Palecher Meister.

Allerdings sah ich keinen Grund, die Briefe der Palecher zu veröffentlichen, die Zeit dafür schien mir noch nicht gekommen. Dann kam mir die Idee, ein Buch zu realisieren, in dem die Palecher selbst über ihr Leben und ihre Arbeit schreiben würden… Und die Künstler begannen zu schreiben. Sie schrieben dieses Buch innerhalb von zwei Monaten – im Juni und Juli 1932…

Der aus einer Familie von Ikonenmalern stammende Ivan Ivanovič Zubkov (1883-1938) war einer dieser Künstler. Nach der Revolution war er 1924 in Palech Gründungsmitglied des Artels für Alte Malerei.

In ihrem Buch PALEKH – The State Museum of Palekh Art (Izobrazitelnoye Iskusstvo Publishers, Moscow, 1990, Seiten 18-20) schreiben Vitalij Kotov und Larisa Taktašova über den Künstler u.a.:

…Er war ein Dichter des Herzens. Seine Landschaften, gemalt in hellen, transparenten Farben, sind voller Gefühle, Harmonie und Musik. Die auf seinen idyllisch-bukolischen Szenen dargestellten Menschen sind immer tätig – sie spielen, sammeln Beeren und Pilze, fischen, zünden Lagerfeuer an usw…

…Ivan Zubkov ist einer der populärsten Palecher Meister. Seine Lacke zählen zu den klassischen Werken Palecher Miniaturkunst und werden von den Studenten der Kunstschule sorgfältig studiert.

In Vichrevs Buch erschienen Ivan Zubkovs Erinnerungen unter dem Titel Ein Leben von Gold durchwoben. Im Folgenden sind diese auszugsweise wiedergegeben und kommentiert.
Die zitierten Textabschnitte von Irina Safonova sind dem Kapitel Zubkovi (Die Zubkovs) ihres Buches Mnogolikij Palech (Palechs viele Gesichter), Izdatelʼstvo Referent, Ivanovo, 2015, Seiten 272-289, entnommen.

Die Fotografien für die mit Staatliches Museum für Palecher Kunst bezeichneten Abbildungen wurden uns freundlicherweise von Frau Olʼga Vladimirovna Šemarova, Hauptkonservatorin am Staatlichen Museum für Palecher Kunst, zur Verfügung gestellt.

Übersetzung der Texte aus dem Russischen: Elena Buljukina und Felix Waechter. Kommentare (kursiv): Felix Waechter.


Ein Leben von Gold durchwoben
Aus: Efim Vichrev Die Palecher.
Seite 175
Meine Heimat ist drei Werst von Palech entfernt, ein kleines Dörfchen mit zehn Höfen, das sich an einem malerischen Plätzchen befindet. Es ist von Feldern und Wäldern umgeben. Im Winter, mit Schnee bedeckt, erinnert es an einen verstorbenen, mit einem weissen Leichentuch bedeckten, nahen Verwandten. Im Frühling aber wirft es den weissen Schleier ab und präsentiert sich als blühende Braut. Durch das frühlingshafte Grün schimmern die ärmlichen Hütten, in den Höfen flimmern die Blumen, man hört das Geschrei kleiner Kinder und das Lied der Nachtigall.

So beschreibt Ivan Zubkov sein Heimatdorf Derjagino.

Über die Eltern Ivan Zubkovs berichtet Irina Safonova:

"Sein Vater – Ivan Vasil'evič Zubkov, geboren am 6. Januar 1851 in Derjagino – war verheiratet mit der ebenfalls aus einer Familie von Ikonenmalern stammenden Elizaveta Aleksandrovna Belousova. Ivan Vasil'evič arbeitete sein ganzes Leben lang als Ikonenmaler in den Werkstätten der Brüder Belousov. Die von den Belousovs produzierten Ikonen waren hauptsächlich im Fränkischen Stil gemalt. Der Hauptunterschied bestand in der Abkehr von der Strenge ikonographischer Schemata und die Hinwendung zur Vitalität des Bildes. Ivan Vasil'evič beherrschte diesen Stil perfekt – wofür ihn die Firmeninhaber sehr schätzten. Der am 28. August 1883 geborene Ivan Ivanovič war der ältere von zwei Söhnen."
Ivan Zubkovs Eltern.
Aus: Irina Safonova Mnogolikij Palech (Palechs viele Gesichter), Izdatelʼstvo Referent, Ivanovo, 2015,
Seite 273
Aus seiner Jugendzeit weiss Ivan Ivanovič zu berichteten:

Mein Vater war Ikonenmaler und galt in jener Zeit als guter Meister. Er hatte sechs Töchter und zwei Söhne. Mit einem bäuerlichen Betrieb und dem Nebenverdienst lebten wir nahezu ohne Sorgen. Wir bewirtschafteten den Hof mit unseren eigenen Händen, um über die Runden zu kommen. Ab dem siebten Lebensjahr begann ich, mit Hilfe des Psalters zuhause Lesen und Schreiben zu lernen. Im Verlauf des Winters wurde mir das Lesen und Schreiben lernen zuwider, und nachdem ich von meiner Mutter einige Klatschen und Kopfnüsse bekommen hatte, befreite man mich von dieser Beschäftigung und meine Eltern akzeptierten den Wunsch, mich in Palech in die Schule zu schicken. Und ich war fest entschlossen: "Sollte man mich in der Schule das Beten lehren, laufe ich weg in den tiefen Wald am Fluss, dort werde ich angeln und Krebse fangen. Zu Brot – so dachte ich – werde ich in einem fremden Dorf kommen."
Am Flüsschen.
Ivan Zubkov, 1927, Zigarettenschachtel, 13,4 x 8,8 x 2,2 cm.
Staatliches Museum für Palecher Kunst, GMPI KP-2171 SI 1115 L
Aber bis dahin war ich frei und ich genoss diese Freiheit aus ganzer Seele: Ich verbrachte die Tage im Freien, trollte mich den Berg hinunter, spielte Babki (ein altrussisches Volksspiel). Und die Abende! Ach, diese Abende, wie ich sie mochte. Noch heute erinnere ich mich gerne an sie. Was für ein Bild: Meine älteren Schwestern spinnen an den Spinnrädern, andere Mädchen kommen dazu, sie beginnen zu singen und zu spielen. Am meisten interessierten mich aber die schauderhaften Märchen, die meine alte Grossmutter erzählte. Unter diesen Märchen gab es viele unheimliche und bunte Geschichten. Der Vater war selten zu Hause, er arbeitete irgendwo in Kirchen oder in der Werkstatt seines Palecher Meisters.

Dann ging der Winter zu Ende, und der langersehnte Sommer mit all seiner wunderbaren Schönheit zog vorbei.
Rundtanz am Dorfrand.
Ivan Zubkov, 1930er Jahre, Papier, Kohle, 21,2 x 29,2 cm /15,6 x 21,8 cm
Staatliches Museum für Palecher Kunst, GMPI KP-2198/101 SI 1121ChA
Im Jahr 1889 brannte bei einem Dorfbrand in Derjagevo auch das vom Vater um 1870 neu erbaute Haus der Zubkovs ab. Dieses Ereignis beeindruckte den damals sechsjährigen Ivan Ivanovič ungemein:

Aber im Herbst traf uns ein Unglück: Unser ganzes Dorf brannte wegen der Streiche meiner Kumpels ab. Dieses Feuer prägte sich in meinem Gedächtnis für mein ganzes Leben ein.

Feuer in unserem Dorf.
Ivan Zubkov, 1933, Papier, Bleistift, 17 x 24,4 cm.
Staatliches Museum für Palecher Kunst, GMPI KP-2198/40 SI 40ChA
Das Bild, an das ich mich erinnere:

Ich, mein Bruder und meine Schwester mit einem kleinen Kind, dazu zwei weitere sechsjährige Mädchen und zwei meiner Freunde spielen im Eingangsbereich unseres Hauses mit Murmeln. Die Jungs waren durstig. Das Nachbarsmädchen sagte ihnen, sie sollten in ihr Haus gehen und mit Kwas ihren Durst löschen. Sie rannten los und riefen mir zu, dass sie bald zurückkommen würden.

Aber Pan'ka und Van'ka kamen lange nicht zurück. „Vanjuška, schau nach ihnen, sonst machen sie noch etwas kaputt", sagte eines der Mädchen zu mir.

Ich wollte zu ihnen laufen, aber plötzlich war ich erstaunt, ich sah etwas Seltsames: vor dem Haus, in das die Jungen gegangen waren, breitete sich vom Hof her ein weisser Tauschleier aus, wie er sonst abends aus dem grossen Sumpf aufstieg. Ich rief laut:

"Seht mal Mädels, wir haben gerade zu Mittag gegessen und schon ist der Abend da. Welch ein Tau ist das!".

Die Mädchen sprangen auf, hörten auf zu spielen und beobachteten das Phänomen ebenfalls mit Verwunderung. Wir staunten also, standen mit offenem Mund da, während der Tau immer dichter wurde. Vom Tor her zog eine Finsternis in unsere Richtung. Wir wollten gerade weglaufen und schauen, was los war, als plötzlich aus dem Dach und der Mitte des Hofes eine gewaltige Feuersäule hervorbrach. Feurige Vögel flogen auf uns zu, denn der Hof war mit Birkenrinde bedeckt. Und so wirbelten diese von der Hitze zu Röhren gerollten und ganz feurigen Birkenrinden vom Wind getrieben mit der Geschwindigkeit eines Vogels direkt auf unser Haus zu. Das erschien mir so schön, dass ich ungeachtet des Schreiens und der Püffe meiner Schwester wie verzaubert dastand. Der Anblick der knisternden, leuchtenden Flammen, die wirbelnden, schwarzen Rauchschwaden, das Krachen und Pfeifen, all das schockierte mich, noch nie hatte ich ein so hinreissendes und fürchterliches Schauspiel gesehen. Ich habe diesen Moment immer wieder erlebt und mir oft dieses Bild nachts oder irgendwo in einem stillen Winkel vorgestellt. Ich habe sogar mehrmals versucht, mit Farben, die ich meinem Vater gestohlen hatte, den Brand auf Papier zu malen. Aber – so sehr ich mich auch bemühte – es gelang mir nicht, die ganze Leuchtkraft des Feuers wiederzugeben. Lange Zeit später betrachtete ich einmal ein Bild, auf dem ein Brand dargestellt war, und mir schien, dass der Künstler, der dieses Bild gemalt hatte, nie einen Brand gesehen hatte.

Der Wind wehte in unsere Richtung und das Fenster unseres Hauses war geöffnet. Der Feuervogel flog durch das Fenster hinein, fand dort reichlich Nahrung und begann sogleich sein Werk: keine zwanzig Minuten später loderten die Flammen aus unserem ganzen Haus. In der Zwischenzeit kamen meine Mutter und meine Großmutter von der Getreidedarre nach Hause gelaufen, meine Mutter rannte in die rückwertige Hütte und begann, alles durch das Fenster hinauszuwerfen. Ich kann mich nicht erinnern, wie ich mich mit ihr im Zimmer wiederfand, fassungslos dastand und nicht wusste, was ich tun sollte. Meine Mutter schrie:

"Ergreif irgendetwas, du Bengel, und schlepp es hinter das Dorf".

Und so griff ich nach der Ikone "Johannes der Vorläufer", deren strenge Schönheit mich schon immer beeindruckt hatte (sie hat sich bis heute unversehrt erhalten), lief mit ihr durch das Dorf und legte sie auf einen Haufen mit Habseligkeiten. Dann ich ging zurück, um zu sehen, wie es um unser Haus stand. Aber das Haus hatte seine Gestalt bereits verloren. Alles war zusammengebrochen, und die Flammen waren nicht mehr so schön. Sie züngelten träge an den schwarzen verkohlten Balken, düster und mürrisch standen die Schornsteine wie Denkmäler auf einem Friedhof. Am Ende des Dorfes war eine gespenstisch schöne Szene zu sehen. Die Leute bekämpften die Flammen und schrien wie verrückt: "Wasser, Wasser!". Aber es gab kein Wasser im Dorf. Schliesslich erreichten die Flammen eine breite Schneise im Dorf und stoppten ihren rasenden Lauf, nachdem sie die Gebäude sowie alle Brot- und Futtervorräte vernichtet hatten (es war Oktober). Ihr zerstörerisches Werk kam zu Ende.

Inzwischen fand ich eine andere Beschäftigung. In den Brandresten erblickte ich leuchtend rote Nägel, mit diesen wollte ich meine Tasche füllen. Ich schnappte mir zwei, schrie fluchend auf und rannte mit rauchender Hose durch das Dorf...

Für die Familie begann eine schwierige Zeit, sie lebten vorerst in der Banja. Bei Irina Safonova ist zu lesen, dass sich der Vater Ivan Vasil'evič sich bei den Firmeninhabern verschulden musste und für den Rest seines Lebens von den Belousovs abhängig blieb.

In diesem Herbst bezog meine Familie ein leerstehendes Haus, mich brachte man weinend und trauernd nach Palech zu einer Tante, wo ich zur Ausbildung in die Volksschule eintrat. So begann für mich der Ernst des Lebens.

In der Schule war ich ein durchschnittlicher Schüler. Natürlich ging es nicht ohne Bestrafungen wie Ohrenziehen und Schlägen mit dem Lineal. Das war damals so üblich. Gottes Gesetz bereitete mir Schwierigkeiten und bescherte mir eine Menge Strafen vom Popen Nikolaj für Buchstaben und die Zehn Gebote.

Mehrmals machte der Pope meinen Vater auf meine Gleichgültigkeit gegenüber diesen Dingen aufmerksam, und mein Vater benutzte den Gürtel. Aber nichts half, und ich verliess die Schule vorzeitig.

Ivan Ivanovič tritt in die Fussstapfen seines Vaters, er wird zum Ikonenmaler ausgebildet. Dabei kommt er auch in Kontakt mit den revolutionären politischen Strömungen im russischen Zarenreich. Er distanziert sich zunehmend von der Ikonenmalerei, interessiert sich für die Werke der alten italienischen Meister, für russische Maler und Schriftsteller.

Als ich zehn Jahre alt war, kam ich für sechs Jahre in die Werkstatt von Belousov, um die Kunst der Ikonenmalerei zu lernen – zu studieren, wie die Gesichter und das Leben der Heiligen gemalt werden.

Im fünften Studienjahr wurde ich mit meinem Vater zur Erlernung der Wandmalerei in die Stadt Samara geschickt. Und da begann ich meine Arbeit ein bisschen zu verstehen und zu schätzen. Ich musste mit den Zeichnungen und den neuen Techniken der Meister vertraut werden, anhand von Stichen und Fotographien verschiedene Künstler kennenlernen, Kirchen aufsuchen, wo die Wände mit Öl- und Freskofarben bemalt waren. Bald konnte ich nicht mehr ohne Bücher auskommen. Ich begann alles zu lesen, was mir in die Finger kam.

So lernte ich zwar, Landschaften, Architekturelemente und Kleider zu malen, aber leider keine Antlitze. Dazu kam, dass mir die sakralen Sujets ausgesprochen missfielen. Nur Bücher und das Kopieren von gemalten und kolorierten Bildern verschafften mir in meiner Freizeit Abwechslung und förderten meinen künstlerischen Instinkt. Damals kam mir oft ein Gedanke: Was wäre, wenn man diesen Ikonenmalstil auf profane Malerei übertragen würde – wie schön wäre das. Aber damals waren das nur Träume. Als erster Künstler beeinflusste mich der aus Moskau stammende junge Palecher Meister D. I. Salapin, der die Liebe zu meiner Arbeit erweckte. Er war ein sehr belesener, gut gebildeter junger Mann und ein grosser Meister unseres Handwerks. Er vertrat völlig neue Ansichten über Kunst und Politik, vor allem dank ihm lernte ich die Namen der grossen Künstler, Schriftsteller und unserer grossen Meister der Ikonenmalerei kennen. Mit seiner Hilfe bildete sich in unserer Werkstatt ein politischer Geheimzirkel, aus dem gute Bolschewiki, viele reife Meister und echte Künstler hervorgingen.

Einen starken Einfluss auf mich hatte die italienische Malerei, ich war begeistert von Raffael, Rubens und anderen grossen westlichen Künstlern. Da ich damals hauptsächlich in Dörfern oder Städten arbeitete, die keine guten Museen hatten, bekam ich leider nur sehr wenige Originalwerke dieser Titanen der Kunst zu sehen. Wenige Male war ich in Moskau, und besuchte die Tret'jakov-Galerie und einige Ausstellungen.

Von unseren russischen Malern faszinierte mich besonders der Landschaftsmaler Šiškin. Lange blieb ich vor seinen Gemälden stehen und bewunderte unsere einheimische Natur, das herausragende Können, die Kraft der Farben und die Poesie der Sujets. Ich liebe die Landschaften immer noch und male sie oft nach meiner eigenen Manier, im Stil der alten Malerei. Meine Lieblingsschriftsteller sind Puškin, Lermontov, Nekrasov, Gogol', Turgenev, Gončarov – auch sie schufen viele schöne Bilder.

Nun, dank all der erwähnten Einflüsse sowie der Lektüre verschiedener Bücher gelang es mir, vom Ikonenmalstil etwas Abstand zu gewinnen und die künstlerische Gestaltung Schritt für Schritt in Richtung profane Malerei zu verschieben.

Und Ivan Ivanovič berichtet von seiner Arbeit als Sakralmaler, über Revolution, Krieg und über einen Neuanfang.

Nach Abschluss meiner sechsjährigen Ausbildung wurde ich mit einem Gehalt von fünfzig Rubel als Meister eingestellt. In den folgenden Jahren bis zur Oktoberrevolution arbeitete ich hauptsächlich als Kirchenmaler. Zuletzt verdiente ich siebzig Rubel – eine beachtliche Summe damals. Aber dann krachte der Donner der Revolution und fegte den nutzlosen religiösen Kram weg. Die Popen warf man über Bord des Revolutionsschiffes, unsere Werkstatt glich einem zerbrochenen Krug. Wir mussten uns nach einer nützlichen Arbeit umsehen. Einige zogen in den Krieg und wurden entweder getötet oder verstümmelt. Andere gingen in die Fabriken und Betriebe. Die Übrigen betätigten sich in der Landwirtschaft. Auch ich war für acht Jahre als Landarbeiter tätig, ohne einen Pinsel oder Stift in die Hand zu nehmen. Während dieser Zeit boten mir Bücher die einzige Entspannung von der ungewohnten und harten Arbeit eines Bauern.

Aber unter den Palecher Meistern gab es solche, die in all diesen Jahren ihre Kunst nie aufgegeben hatten. I.I. Golikov war einer von ihnen, ein grosser Meister unseres Handwerks. Ständig befand er sich auf der Suche nach Anwendungen für unsere Kunst, welche auch in einem neuen, freiheitlichen Leben nützlich sein könnten. Er malte Dekorationen, Plakate und schliesslich begann er, in unserem Stil auf Papiermaché zu malen. Er war ein virtuoser, ein begnadeter Zeichner – auf allen Ausstellungen, an denen Palecher Miniaturen zu sehen waren, zog er die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich.

In den ersten Jahren arbeiteten wir ausschliesslich für den Export und wählten Themen, die vor allem dem bürgerlichen Geschmack entsprachen. Ernstere Themen für unsere Arbeiten stammten aus den Werken unserer Klassiker – Puškin, Lermontov und andere. Aber jetzt standen wir vor der wichtigen und entscheidenden Frage des Übergangs zu neuen sozialistischen Themen. Ich persönlich wechselte auf folgende Weise zu neuen Themen: als ich eines Tages von der Arbeit heimkehrte, sah ich im Dorf einen Traktor, der neu auf der Palecher Kolchose angekommen war.
Herzlich willkommen! Ankunft des Traktors auf dem Dorf.
Ivan Zubkov, 1936, Entwurf für eine Lackarbeit, Papier, Eitempera, 25,8 х 32,8 / 21,2 х 27,1 cm
Staatliches Museum für Palecher Kunst, GMPI KP-2198/65 SI 65ChA
Um den Traktor hatte sich eine Gruppe von Menschen versammelt: einige waren neugierig, andere warteten schadenfreudig darauf, dass sich der Traktor in Bewegung setzen würde. Ich kam näher. Die ganze Gruppe stand im Sonnenlicht, und mir schien als sähe ich eine in unserem Stil bemalte Leinwand, verziert mit Gold, das unserer Kunst die besondere Schönheit und Leuchtkraft verleiht. Ich bewunderte dieses Bild, machte mir im Kopf einen Entwurf und, zu Hause angekommen, brachte ich diesen zu Papier. Im Folgenden malte ich drei Versionen des Bildes, das ich "Die erste Furche" nannte. Sie gelangen mir recht ordentlich. Die Schönheit der Natur, die von der Sonne beschienenen Orte, das Grün, der Roggen, die Blumen und die schroff beleuchteten Hütten - all das gab unseren alten grossen Meistern der Ikonenmalerei – Rublev, Ušakov und anderen – reiche Nahrung. Sie spürten den ganzen Liebreiz der im Sonnenlicht strahlenden Natur, entwickelten diesen Stil und malten mit Gold.
Bündnis zwischen der Stadt und dem Dorf.
Ivan Zubkov, 1931, Löschblattroller, 6,7 x 17,2 x 8,2 cm
Staatliches Museum für Palecher Kunst, GMPI KP-214 SI 185 L
Eines meiner Lieblingsmotive, bei dem die vollen Farben und die ganze Kraft des Goldes zur Geltung kommen, ist "Die Feier". Ich verbrachte die meiste Zeit meines Lebens auf dem Dorf, habe selbst oft ländliche Feiern gesehen und an solchen teilgenommen. Ihre ungekünstelte Schlichtheit hat mich immer fasziniert. Ungezwungen und beschwingt verlebte ich diese farbenfreudige Jugend, die von der spiessbürgerlichen städtischen Kultur noch nicht erfasst wurde. Oft betrachtete ich in der Vergangenheit Bilder von Feiern und Tanzanlässen und versuchte immer, meine Eindrücke mit Farbe und Gold in unserem Stil wiederzugeben. Einmal geschah folgendes: Während meiner Arbeit in einer Kirche malte ich das Bild "Die Bergpredigt" und unmerklich malte ich dieses Bild für mich selbst wie eine Feier auf dem Dorf, so dass Gott beinahe selbst zum Tanz ging. Es gab einen Skandal. Als man begann das Gerüst abzubrechen, betrat ein Pope die Kirche und als er mein Bild sah, war er absolut empört. Er meinte, dass man aus Palech einige Andersgläubige oder Revolutionäre geschickt habe. Der Skandal wurde mit grossem Aufwand beigelegt. Man musste das Bild überarbeiten, was mir schrecklich leid tat.
Freizeitspass.
Ivan Zubkov, 1930er Jahre, Entwurf für eine Lackarbeit, Papier, Bleistift, 21,2 х 29,2 / 15,6 х 21,8 cm
Staatliches Museum für Palecher Kunst, GMPI KP-2198/101 SI 1121ChA
Jetzt, wo ich auf Papiermaché arbeite, male ich die verschiedensten Feiern und Tänze. Dabei faszinieren mich vor allem die Farben der bunten Kleider und die blühende Natur. Ich möchte alles in Gold und Silber aufblitzen lassen.
Massenversammlung an der Tanka.
Ivan Zubkov, 1935, Dose, 26,8 x 20 x 4,8 cm
Staatliches Museum für Palecher Kunst, GMPI KP-80 SI 67 L
Derzeit mache ich zum fünfzehnten Jahrestag Entwürfe für das Haus der Roten Armee. Eine Leinwandskizze trägt den Titel "Rotarmisten und Matrosen der Roten Flotte leisten Aufklärungsarbeit unter den Kolchosbauern und reparieren Geräte". Ausserdem fertigte ich Skizzen auf Pappmaché zum Thema "Die Kolchose" an. Gleichzeitig arbeite ich an einer Skizze "Die Töpferei in der Provinz Nižnij Nowgorod" für den Leningrader Kulturpalast.

Die Zeit vergeht, das Leben nimmt seinen Lauf... Ivan Zubkov schreibt am Ende seiner Aufzeichnungen über die Zukunft der Palecher Kunst und ihrer Künstler.

Unsere Jahre vergehen, das Sehvermögen lässt nach, aber noch immer streben wir nach neuen Dingen. Ich denke, dass wir mit Unterstützung der sowjetischen Gesellschaft in der Lage sein werden, die Kunst der nächsten Generation übergeben zu können. Sie wird diese Kunst weiter entwickeln und vielleicht neue Wege beschreiten.
Die wunderbare Geige.
Ivan Zubkov, 1936, Papier, Eitempera, 23х36,8 / 12,9х30,9 cm
GPMI KP-2198/46 SI 46ChA
Unter meiner Aufsicht stehen vier Studenten. Wir nehmen unsere Studierenden sehr ernst. Unsere Hauptaufgabe ist es, eine kommende Generation zu formen, die stärker sein wird als wir, die ein fundierteres theoretisches Wissen haben wird und die unsere Technik in einer breiteren Art und Weise erlernen soll. Die heutige Zeit bietet alle Möglichkeiten, unsere Kunst zu entwickeln. Wir haben gute Lehrer für die theoretischen Fächer. Wir besitzen eine reichhaltige Bibliothek – Bücher, Alben mit Gemälden der grossen Meister und alles, was man auf diesem Gebiet braucht. Ich bin überzeugt, dass die nachkommende Generation im Laufe der Zeit echte proletarische Künstler hervorbringen wird, die unsere Paläste und Theater verzieren werden.

Die Palecher Kunst sollte sich nicht auf Papiermaché beschränken, mit dem wir bereits Erfolg haben. Eine weitere Entwicklung unserer Kunst in alle Richtungen ist erforderlich. Wir müssen die Leinwand, die Fresken, das Porzellan beherrschen und uns selbst der Bildhauerei nähern.

Irina Safonova schreibt über den Künstler:

"Die Werke von Ivan Ivanovič sind deshalb interessant, weil sie aussergewöhnlich sind, schön in den Farben, durchdrungen von Gold und Silber. Der Künstler zeichnete sich durch seinen grossen Fleiss aus. Seit der Gründung der Genossenschaft malte er in zehn Jahren etwa 700 Werke. Er kam jeden Tag sehr früh von Derjagino nach Palech zur Arbeit, sein Arbeitstag begann zwischen 3 und 4 Uhr morgens und endete spät abends. N. M. Zinov'ev erzählt: Ivan Ivanovič und seine Familie waren sehr gastfreundlich. Seine Gattin, Aleksandra Vasil'evna Kotuchina, war eine erstaunliche Frau. Sie war schön, hatte langes, geschmeidiges, braunes Haar, blonde Augen, eine zarte Wangenröte und einen weich gezeichneten Mund. Als ausgezeichnete Gastgeberin kochte sie gut und empfing die Gäste stets sehr herzlich und gastfreundlich. In der Familie herrschten Frieden und Harmonie, ihr Haus war immer voll."

1929 zogen die Zubkovs nach Palech. Nach dem zehnjährigen Jubiläum der Genossenschaft für Alte Malerei verlor der Künstler seine Lebensfreude, Herz und Brust begannen zu schmerzen. In seinem 55. Lebensjahr, am 18. Februar 1938, starb er im Krankenhaus in Šuja, wohin er zur Behandlung gebracht wurde.
Jagdszene.
Ivan Zubkov, 1934, Dose, 8,1 x 9,9 x 2,6 cm
Privatsammlung