Tradition und Avantgarde

Der Künstler Michail Larionov
Michail Igorevič Larionov (29.04.1963 – 05.10.2007) ist eine aussergewöhnliche Erscheinung unter den Palecher Lackkünstlern. Schon zu Lebzeiten nannte man ihn den Begründer der Palecher Avantgarde.

Ein von Elena Leonova geführtes Interview mit dem Maler erschien am 10. März 1999 unter dem Titel Der traditionelle Avantgardekünstler Michail Larionov in der Zeitschrift „Chronometr-Ivanovo".

In Beilagen zur Zeitung „Prizyv" vom 25. Mai und 08. Juni 2001 erschien unter dem Titel Zwischen Tradition und Avantgarde ein vom Palecher Kunsthistoriker Vitalij Kotov verfasstes Portrait des Künstlers Michail Larionov.

Aus dem Russischen von Dr. Anatolij Johnson und Dr. Felix Waechter.

Elena Leonova
Der traditionelle Avantgardekünstler
Michail Larionov
Die Beamten des Palecher Gebietskomitees für Kultur haben sich gegenüber unserer Suche nach der Adresse des „Rebellen" Michail Larionov höchst missmutig verhalten und sich sogar dahingehend geäussert, „dass man solchen Meistern die Hände abreissen sollte". Und wir verstanden ‒ das ist unsere Eigenart. Umso mehr wurde offensichtlich, dass unter der dünnen äusseren Folie der provinziellen Gelassenheit in Palech echte Leidenschaften toben. Und da kam auch noch das Gerücht auf, dass die Palecher angeblich ein „neurussisches" Thema erschliessen. Mit dieser Frage habe ich dann auch mein Interview begonnen ‒ wie sich zeigte, nicht ganz erfolgreich. Aber was soll´s, aus einem Lied kann man die Worte nicht entfernen …

Michail, was soll das mit den „Neuen Russen" ‒ ist es wahr, dass neue Sujets aus dem zeitgenössischen Leben aufgetaucht sind?
Warum soll man heute, wenn man in den 20er Jahren in Palech Leniniana und die Stalinsche Industrialisierung erschlossen hat, nicht einen Pascha-Mercedes oder die Demontagen der Mafia von Solncevo (1) und Ljubercy (2) zeichnen?

Es gab vor ein paar Jahren ein solches interessantes Projekt. Sie wissen, dass im Zentrum von Moskau ein unterirdischer Laden von Lužkov (3) für die „Neuen Russen" entdeckt worden ist. Man hatte dort auch Räume für verschiedene Arten von kuriosen Erzeugnissen des Volksgewerbes bereitgestellt.
Natascha (die Frau von Michail, ebenfalls Künstlerin und «Hooliganin» nach Sujets, Anm. d. Verf.) und ich waren dort: Hanteln wie aus Gold mit Chochloma-Malerei (4), Telefonscheiben aus Gžel´sker Keramik (5), Kreditkarten der „Chochloma-Bank". Und dorthin bestellten die Besitzer einige Arbeiten über das Leben der „neuen Russen". Man muss dazu sagen, dass die Palecher damit nicht zurechtkamen, sie machten alles ungeschickt. Sie verhielten sich buchstäblich unschöpferisch dazu, indem sie immer dieselben Klischées benutzten: wenn das früher „Das silberner Hüfchen" war, dann jetzt „Der Vorsitzende der Agrobank auf der Jagd", früher hieß eine Arbeit „Am Brunnen", jetzt aber „Der Pascha mit seiner Schnalle neben dem Mercedes". Und dies alles riecht nach so einer Kriecherei, es zerstört den Künstler. Nichts ist gelungen, alles liegt wie tote Fracht da, niemand nimmt es. Aber streng genommen kann das Thema der „Neuen Russen" sehr dankbar sein, haben doch die Holländer im XVII. Jahrhundert gerade eine solche Schule gegründet, sie haben die Portraits ihrer Neuen Holländer, der Bourgeois, gemalt. Die Impulse sind völlig dieselben ‒ neue Bilder, neue Herrschaft. Aber essollte nicht so sehr der Wunsch sein, einen Pascha-Mercedes darzustellen, als vielmehr die Empfindung des modernen Lebens.

Sie halten sich dennoch für einen Rebellen in Palech? Oder sind sie Avantgardist?
Wenn man über die Avantgarde allgemein spricht, kann man sich nicht ohne Ironie als Avantgardist wahrnehmen. Ich bin weit entfernt von einem richtigen Avantgardist ‒ Filonov, Malevič, Salvador Dalí. Meine Bestrebungen sind keineswegs mit dem Wunsch verbunden, mich hervorzutun oder einen Skandal zu produzieren, im Gegenteil, alles ist auf der tiefen Verehrung gegenüber den Palecher Traditionen aufgebaut. Die Palecher Kunst hat doch immer mit einem Erneuerungsimpuls angefangen. Zu Beginn des Jahrhunderts ist die Ikonenmalerei in eine Sackgasse geraten, hat sich von der Kunst in ein gewöhnliches Handwerk verwandelt. Und 1924 vollzog sich eine vollständige Erneuerung. Die Palecher Lackminiatur erhielt ihre Anerkennung nicht als Handwerk, sondern als Richtung, als hohe Kunst.

Aber seither scheint der Erneuerungsimpuls verblasst zu sein …
Das hängt vor allem damit zusammen, dass Palech in den Bereich der Staatsinteressen geraten ist. Man behielt ihn im Auge und folgte ihm nach. Im Kunstrat der Werkstätten tagte ein Onkel aus dem Bezirkskomitee. Einerseits drängte man den Sozrealismus auf, andererseits „brachte man" die echten Künstler „nicht auf den Markt" und förderte sie nicht. Bis heute hält man Palech für Volkskunst mit ihren genauen Regeln. Die Theorie der Volkstümlichkeit, die die Kunsthistorikerin Nekrasova begründet hat, nenne ich „Bibel der Stagnation". Gerade die beraubte Palech des Fortschritts. Und heute ist das eine ganze Struktur ‒ das sind Kunstgeschichte, Museumswissenschaft, technische Produktion und sogar die Sammler. Der Kreis ist sehr schwer zu öffnen.

Und wie sind denn die Gesetze des Marktes?
Der Markt verlangt gerade originelle, frische Sachen. Hier ist alles kompliziert. Alle wissen, dass die Firma „Sony" gute Apparate herstellt. Und man kauft sie. Ebenso wissen alle, dass die Firma „Palech" Schatullen herstellt ‒ darauf müssen unbedingt grüne Pferde und Ivane-Zarewitsche sein. Und der Laien-Käufer orientiert sich danach.

Zur Frage der Authentizität ‒ die Palecher beschuldigen sich gegenseitig der Profanisierung, der Unechtheit. Wohin soll da der arme Käufer ausweichen, wenn man schreit: „Nimm diese Fälschung nicht, das echte Palech ist nur dort, um die Ecke …"
Es spielt sich das übliche konkurrierende Marktspektakel ab. Teilweise ist das auch der Kampf der Ideologien ‒ des Alten und des Neuen. Die Einheitlichkeit stört die normale Entwicklung. Wir haben uns gerade auf unserer letztjährigen Ausstellung „Nach dem Winter" bemüht, alle Richtungen vorzustellen. Und die Ausstellungen haben ihre Rolle gespielt ‒ der neue Stil hat sich sowohl in Palech, als auch in Fedoskino durchgesetzt, man hat sich an ihn gewöhnt, er hat den Anstrich des Skandalösen verloren.

Und warum war die Ausstellung nur in Palech, und nicht in Ivanovo?

Im Grossen und Ganzen ist Ivanovo auch nicht gerade eine Stadt, wo viele das Neue in der Kunst der Lackminiatur schätzen könnten. Wir wollen, dass sich diese Ausstellungen in Festivals verwandeln ‒ und vor allem, zum Wohl von Palech, dass die Leute hierher kommen. Etwas anderes ist es, dass das nicht alle begreifen.

Und was passiert in Palech selbst? Sind viele Leute, die mit den Werkstätten verbunden sind, arbeitslos geworden?
Ich würde sagen, dass jeder, der wollte, seine Nische gefunden hat. Aber es sind nicht alle zufrieden. Ein grosser Teil hat sich mit Ikonenmalerei befasst ‒ ich will diesen Aspekt der Kunst nicht analysieren. Ich sage mir persönlich, ehrlich, die Ikonenmalerei ist uninteressant ‒ ich bin ein Anhänger dessen, was 1924 angefangen hat.

Das bedeutet, Sie sind ein traditioneller Avantgardist …
Oder ein würdiger Modernist … Es gibt für mich jedes Jahr immer weniger Arbeiten ‒ es sind Bedürfnisse entstanden. Wenn ich vor einigen Jahren, wie viele Künstler in Palech, keinen Bleistift hatte, so gibt es jetzt eine grosse Arbeit an Skizzen, eine Sammlung von Materialien und einer Malserie. Es besteht der Wunsch, sich dem Niveau der grossen Meister zu nähern, obwohl man auch ein wenig begreifen sollte, was im Land und in der Welt geschieht.

Referenzen
(1) Stadtteil von Moskau.
(2) Stadt südöstlich von Moskau.
(3) Jurij Michailovič Lužkov, 1992-2010 Oberbürgermeister von Moskau.
(4) Dekorative, volkstümliche Malerei auf Holzgegenständen, benannt nach dem Dorf Chochloma, nördlich von Nižnij Novgorod.
(5) Bekannte blaue Keramikerzeugnisse aus dem Dorf Gžel´, südöstlich von Moskau.

Vitalij Kotov
Zwischen Tradition und Avantgarde -
Portrait des Künstlers Michail Larionov
Larionovs Verhältnis zu den Traditionen Palechs ist widersprüchlich. Absolvent der Palecher Schule, sagte er dieser Tradition ziemlich schnell den Kampf an und ging zu scharfer Kritik an ihr über. Ideelle Grundlage waren der damalige „liberale" Individualismus und die Verhaltensmuster der Avantgardekünstler (Malevič, Kandinskij u. a.) und ihr Werk. Zum Glück bewahrte ihn seine Persönlichkeit vor Epigonentum. Er überwand jedoch die Schablonen der Komposition und der Sujets, das rein handwerkliche Variieren der Vorbilder. Wenn ich seine Werke als Ganzes nach etwas mehr als zehn Jahren überschaue, finde ich (jedoch) wenige Arbeiten konsequent avantgardistischer oder modernistischer Richtung. Es gibt viele Werke anderen Charakters, die aber verschieden von der gewohnten Vorstellung von Palech sind. Sie fesseln durch das Spiel der Phantasie. Die Phantasie jedoch ist die wesentliche Qualität des Künstlers, das Mass seines Talents.

Hier muss daran erinnert werden, dass ich schon vor 20 Jahren geschrieben und gesagt habe, dass man ohne schöpferische Phantasie weder Schablone noch Stümperei überwinden kann. Wir wollen eine flüchtige Skizze der künstlerischen Persönlichkeit Larionovs vorstellen.

Larionov ist ein vielseitiger künstlerischer Charakter. Seine Eigenart ist Extravaganz, Exzentrik in seinem Verhalten und in seinen künstlerischen Interessen. In seinen Lehrjahren liebt er das Laientheater und die Kleinkunstbühne, er spielt, organisiert und betätigt sich als Regisseur. Jazz und die zeitgenössische Populärmusik „liegen ihm am Herzen", er lernt selbst und unterrichtet andere, verschiedenste Blas-, Saiten- und Schlaginstrumenten zu spielen, und veranstaltet Theaterstücke. Er organisiert Ensembles für Laienbühnen und nimmt am Amateurkinofilm „Zum Totlachen" teil, in dem er die Rolle einer Charms´schen Alten spielt. Er hat einen vom Vater, dem Ingenieur und Elektriker Igor´ Ivanovič Larionov ererbten Hang zu technischen Erfindungen und phantastischen Projekten.

Er beherrscht meisterlich verschiedene Handwerksarten und ist ein Tausendsassa. Dies alles begünstigt Verzettelung, schliesst aber Synthese, Wechselwirkung nicht aus. Das Leben wird ihn zwingen, sich auf die Palecher Miniatur zu konzentrieren. In den anderen Künsten war er nur Dilettant, die professionelle Ausbildung erhielt er jedoch in der Palecher Kunsthochschule.

Leider hinderten ihn die Amateur-Leidenschaften daran, sich die Palecher Kunst ernsthaft und tief anzueignen. Einige Zeit nach der Hochschule malt er Arbeiten, die enttäuschen.

Es sind dies Varianten von Pärchen am Brunnen (mit einem Matrosen und mit einem Stutzer mit rundem Strohhut). Anziehend sind die Ziegel- und Blockhäuser vom Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in Palech, gemalt nach Zeichnungen aus der Natur im Raum eines realistischen Bildes, ohne Stilisierung. Der Realismus ist der traditionellen, idealisierten Palecher Landschaft gegenübergestellt. Leider besitzen die Hauptfiguren der „zeitgenössischen" Personen weder Schönheit des Stils noch realistische Ausdruckskraft. Insgesamt ist dies von der Komposition her dilettantisch vereinfachte, primitive Palecher Massenware im volkstümlichen Stil. Müssen darin die feinen Unterschiede und vielleicht solche Arbeiten als plumper Palecher Realismus definiert werden?

Die Märchen „Die tote Zarentochter" und „Zar Saltan". Hier variieren die Schablonenmuster („so einfach wie möglich") nach Art der Verschiebung und Vereinfachung der Gruppen und Figuren sowie der Ausdehnung des Raums. Verlorengegangen sind das Dekorative und die Schönheit. Die musikalisch-künstlerischen Begeisterungen haben vom seriösen Studium abgelenkt. Plötzlich vollzieht sich, wie in einem Märchen, eine Wandlung. Im Jahre 1994 erscheint Michail Larionov als reifer Künstler mit eigener Handschrift, als ob er von neuem ein Studium absolviert hätte. Seine Arbeiten sind mit erfahrenerer, sicherer Hand gemalt, frei und voller Glanz. Der Teller „Mittag" (1994).

Die originelle Komposition ist im eleganten Palecher Stil gemalt. Die Figuren sind in raffinierten, gestreckten Umrissen und freien Bewegungen gezeichnet, die die konkreten inhaltlichen Handlungen wiedergeben, nicht symbolische, wie bei den Ikonen, sondern physisch-psychologische, reale, irdische. Daher ist das Pärchen am Brunnen poetisch ‒ der Bursche trinkt (viel!) aus einem Eimer. Dem Mädchen bleibt vor Erwartung das Herz stehen. Die kompakte, künstlerisch jedoch geordnete Gruppe, die die Schnitter in einem dekorativen Rahmen einer Anhöhe und eines Baumstammes vereinigt, ist frei, dekorativ und architektonisch. Elegant und poetisch sind die entblössten Figuren im Wasser. Alle diese Sujets sind dekorativ wie ein dichter Kranz in den runden Teller hineingeflochten. Die stilisierten Palecher Bäume mit dem getüpfetlen Laub ‒ keine mechanische Kopie eines Musters, sondern im Masse eines guten dekorativen Verständnisses ihres Platzes in der ganzen Gliederung gemalt ‒ haben Larionov auf das Niveau der Tradition gebracht. „Das Märchen von der toten Zarentochter" (1994, Schatulle). Die aus der Schablonenhaftigkeit herausführende Originalität der Komposition fesselt dadurch, dass der aus mehreren Bildern bestehende Aufbau für den Betrachter zu einer kompakten Einheit geführt wird. Die dekorative Einheit und die Schönheit sind sehr emotional in den Farben des grünen Waldes in seiner blau-grünen Farbskala und der Figuren in ihren rot-orangen Tönen. Wundervoll gezeichnet und rhythmisch gegliedert sind die Stellungen in den Bewegungen der Figuren in ihrer Beziehung zum Format der Schatulle. Dies offenbart die Architektonik der Komposition.
Das Märchen von der toten Zarentochter.
Michail Larionov, 1994
Wir sind zum komplizierten und nicht sehr klaren Verständnis der Tektonik gelangt, das Valentin Chodov sehr nachdrücklich in seinen letzten Jahren vorbrachte. Die Arbeiten von Larionov geben Anlass zu seiner Diskussion und Verdeutlichung. Ein leuchtendes und klassisch klares Beispiel ist die Komposition „Die Froschprinzessin" (1994) mit der Darstellung der Ankunft der Zarentochter zum Festmahl.

Die Arbeit ist traditionell, jedoch auf innovative Art ausgeführt. Man kann dies einen strengen Stil nennen. Zur Veranschaulichung wollen wir sie mit der Miniatur „Die drei Zarensöhne" (1996) vergleichen, die in gotisierender Manier ausgeführt ist (das Resultat des Studiums der internationalen Gotik und des Manierismus). Der strenge Stil in Einheit mit der klassischen Klarheit der geometrisierten Tektonik und die Eingliederung der inhaltlichen Handlung in die Darstellung des Palastes nähern sich organisch der Quelle der Architektonik – der griechischen Architekturanwiesung. Dort ist es nicht nur der Parthenon-Tempel, sondern auch Polykleitos´ Statue eines Doryphoros (Speerträger). In Larionovs Komposition sind die Darstellungen der Pferde architektonisch, die an Bronzestatuen des antiken Rom erinnern.

Ausserdem sind in der Komposition Anklänge von nordrussischen Spinnrocken zu entdecken. Ich habe das gleich wahrgenommen, und Larionov erzählte, dass er diese Spinnrocken studiert sowie Bildbände gelesen und durchgesehen habe.

Diese Arbeit ist ein Muster der schöpferischen Entwicklung der Palecher Tradition und würdig, in einer Reihe seiner Meister- und Musterwerke, zu stehen. Das ist noch ein Werk reinen Stils und der Tradition, ohne einen Wermutstropfen der Avantgarde und des Modernismus. Und in dieser Tradition schafft Larionov sein originelles Werk. Die Tradition stört die Individualität nicht.

Der gefundene Weg ist kein zufälliger Erfolg, sondern der Beginn einer fruchtbringenden Entwicklung.

Die Komposition „Die Gäste" kehrt vom Märchen zur Realität zurück. Dies ist ein realistisches Palecher Alltagsgenrebild, das erste Beispiel einer tiefen lebensechten Darstellung. Man könnte dies auf ihre Art eine Revolution nennen, die zweite nach dem Übergang von der Ikone zur Lackminiatur.

Ich erinnere mich an die Worte von A.V. Kotuchin, die er 1949 an der Schule zu mir sagte: „Es gibt eine realistische Kunst, die man in den Mal- und Zeichenstunden nach der Natur lernt; unsere jedoch, die Palecher Kunst, ist eine konventionelle Kunst."

Auch früher, in der „Genossenschaft", und von da an bis in unsere Tage lodert sie bald auf, spitzt sich zu, bald ändert sie die Formen und lässt die Opposition dieser gegensätzlichen Gesichtspunkte abklingen.

Nach dem Krieg dann dieser Gegensatz zwischen den „Alten" und den Jungen, danach der Kampf gegen die „Tafelmalerei", zu Zeiten von Chodov für das Primitive gegen das Studium des akademischen Zeichnens und Malens, schliesslich im Zusammenhang mit der Perestrojka der Kampf um die Freiheit der Individualität und der Tradition.

Die Wahrheit liegt, wie gewöhnlich, in der Mitte. Sie ist in der tiefen wissenschaftlichen Geschichte der Palecher Kunst selbst enthalten, die frei von gekünstelten, abstrakten „Theorien" ist.

Der „Palecher Realismus" von Larionov ist das Ergebnis der tatsächlichen Geschichte der Palecher Kunst, die entstand und sich entwickelte unter dem Einfluss der ständigen Verbindungen sowohl mit der Weltkultur als auch mit der Weltkunst (sogar mit der altchinesischen, sassanidischen und persischen). Ohne dies hätte sie sich nicht nur nicht entwickeln, sondern nicht einmal entstehen und in die zeitgenössische Weltkultur eingehen können, wie er (Larionov???) nicht ausserhalb des menschlichen und tierischen Organismus entstehen konnte.

Wie jeder Künstler, besass Larionov dies natürlich in der tief intuitiven Form der Routinen, Fähigkeiten und Vorstellungen, zusammen mit seinen persönlichen bewussten Korrektiven mit dem „Plus-" und „Minus-"Zeichen.

Die Platte „Die Gäste" ist das Resultat des allgemeinpalechschen und individuellen Zusammenwirkens von „Realismus" und „Konvention" der Weltkunst. Ich betone, dass dies kein Ersatz der Palecher Tradition durch einen woher auch immer genommenen Realismus ist. Dies ist der Palecher Realismus. Der Stil oder die Tradition von Palech ist in dieser Arbeit offensichtlich. Alle Figuren haben sogar die Stilisierung der Ikonen und Miniaturen bewahrt, die Proportionen, die Feinheit, die Schönheit, die technischen Methoden, der lineare Stil, die Bemalung mit Gold. Bei all´ dem sind alle Figuren realistisch, zeitgemäss, typisch und hoch künstlerisch.

Die Palecher Tradition ist sowohl in der Miniatur als auch im Ganzen zu sehen, obschon sich vieles verändert hat.

Ich glaube, es ist nicht für alle erkennbar, dass die Abbildung des Raums vom klassischen Stil zum Barock übergegangen ist, d.h. von Veronese zu Tintoretto. Nicht alle sehen, dass man die Abbildung der Palecher Märchengastmahle nach dem Muster der bedeutenden klassischen Kompositionen von Veronese wiedergibt, wo der Tisch in direkter Perspektive hingestellt ist, parallel zur Fläche der Leinwand. Larionov hat den Tisch nach den Diagonalen hingestellt, in die Tiefe, wie bei Tintoretto in seinem „Letzten Abendmahl". (Wir stellen fest, dass das Gastmahl in der „Froschprinzessin" in einer offenen Loggia dargestellt ist, nach dem Muster der Renaissance). Diese Vorbilder, durch Tausende von Händen der Palecher gegangen, haben sich verwandelt, so dass man sie nicht wiedererkennt.

„Die Gäste" stellen das feiertägliche Leben im Hause von Larionov und der Kozlova dar. Es ist das, was ich unlängst in meinem Aufsatz über N. Kozlova zum ersten Mal als „Salon" definiert und erklärt habe (ich werde es nicht wiederholen). Dieses Haus hat Michail selbst entworfen und gezimmert, auch hat er die Ausstattungs- und technischen Arbeiten ausgeführt. Das Haus ist in schiefer Perspektive mit vertikalem Schnitt und gewissen künstlerischen Konventionen dargestellt.

Das Sujet ist nicht mit einem bestimmten Tag verbunden, sondern ist eine künstlerische Verallgemeinerung des Milieus, das sich um Larionov und Kozlova gruppiert. Grammophon und Tänze, die allgemeine Stimmung, der rituelle Charakter und die Art der Personen, sich zu benehmen, drücken Poetizität und einen besonderen Retrostil aus.

Es könnte scheinen, dass die einfache und verständliche Komposition Fragen und Rätsel aufgeben würde. Oben unter dem Dach in einer abgeschiedenen Mansarde (Giebelzimmer) befindet sich, tief in Gedanken versunken, der Künstler, nachdem er die Gäste verlassen hat, fern von Lärm und Heiterkeit. Ein seltsames Verhalten! Vielleicht der missglückte Ausdruck des Konflikts zwischen schöpferischer Individualität und Gesellschaft? Im Gegensatz zum Künstler-Einsiedler dringt von der Strasse die lärmende Schar der fröhlichen Zechbrüder ins Haus hinein. Es stellt sich heraus, dass das Wohnzimmer von Gästen überfüllt ist, und immer noch nähern sich Leute von der Strasse! Und im Saal mit den Gästen legt man die kleine Tochter schlafen.

Mit Verwunderung erkenne ich, dass das Mädchen dreimal, in unterschiedlichem Alter, abgebildet ist. Dies ähnelt dem Film von N. Michalkov über seine Tochter, aufgenommen in verschiedenen Jahren.

Somit ist die Komposition „Die Gäste" vom Gesichtspunkt des Kinos her nicht eine Szene, sondern ein ganzer Film: im unbeweglichen Raum ist der Lauf der Zeit eingeschlossen. Dies ist die kompositionsmässige Synthese einer bestimmten Lebensphase. Wie in einer Filmszene die Tochter nicht in drei unterschiedlichen Altersstufen auftreten kann, kann es auch nicht so viele Gäste auf ein Mal geben. Ich denke, dass die Komposition einen Umbruch in Larionovs Leben wiedergibt, als er sich vom lärmig-artistischen zu einem gewissermassen bohèmehaften Leben zurückzog (unlogisch???) und sich in der Abgeschiedenheit auf die professionelle Palecher Kunst konzentrierte, von der oben die Rede war.

Dies ist auch eine Familienzusammenstellung; es werden nicht nur der Künstler und seine Tochter dargestellt, sondern auch noch seine Frau und die Mutter (die Babuschka).

Wenn wir von der Entwicklung der Tradition sprechen, bemerken wir die perspektivische Veränderung der Darstellung der ikonenhaften, d.h. „inneren Paläste" (ist die umgekehrte Perspektive gemeint???), und sprechen von der Entwicklung des realistischen Interieurs der Lackminiatur und des realistischen Stillebens in der Malerei, der nächtlichen Landschaft und der poetischen Beleuchtung. Das alles gab es bei den „Alten". Noch einmal muss man den neuen Zugang zur Darstellung der Zeit unterstreichen und ins Gedächtnis rufen, was wichtig für das Verständnis der nachfolgenden Werke des Künstlers („der Lauf der Zeit") ist. Und noch etwas: die architektonische Geschlossenheit der Komposition, besonders unter dem Einfluss der Bemalungen der nördlichen Spinnrocken (unverständlich).

Die Arbeit „Im Schloss" schliesst kompositionsmässig eng an die vorhergehende an und entwickelt das Prinzip der Architektonik bis zur klassischen Reinheit. Diese Miniatur kann man ein monumentales Werk nennen. Dies ist ebenfalls durch das Palecher historische Genre bedingt, und alles ist im genau bestimmten Palecher traditionellen Stil gemalt. Aber die Bojaren sind hier nicht Statisten, keine dekorativen Figuren, sondern Teilnehmer an der dramatischen Handlung. Auf dieser Grundlage entstehen realistische Bilder. Das umfangreiche System der Küchen-Stilleben ist im niederländischen Malstil. Das zahlreiche Küchengesinde ist abwechslungsreich, typisch, flink und geschickt bei der Zubereitung der verschiedenartigen und appetitlichen Speisen und der Bedienung der Tische. Es ist glänzend gezeichnet und gemalt im realistisch dargestellten Palecher traditionellen Stil. Typisch und charakteristisch ist der Fries der Volksmassen an der Basis der Komposition. Aber die Komposition ist rätselhaft!

Im Zentrum ist ein leerer Thron mit der betonten Silhouette des zweiköpfigen Zarenadlers dargestellt. Hinter den Vorhängen sind die Zarengewänder und die Regalien vorbereitet, erwartungsvoll thronen die vertrautesten Bojaren, aber es ist geheimnisvoll, es gibt keinerlei Andeutung der Anwesenheit des Zaren.

Der Schlüssel zu diesem Rätsel liegt in der Einfügung der Märchenepisode aus „Zar Saltan" mit der Abbildung der Zarin, die Saltan einen Thronfolger und Helden geboren hat; man rollt sie in einem Fass ins Meer. Wie gesagt wurde: „Das Märchen mag eine Lüge sein, doch ist in ihm ein Wink, guten Burschen eine Belehrung" (Puschkin). Und in der Komposition gibt es solche Hinweise, nur offenbart sie eine scharfsinnigere und tiefere Interpretation oder deckt sie der Künstler selbst auf. Ich bin davon überzeugt, besonders nachdem man mir unlängst gesagt hat, dass er sich in jedem seiner Werke bemüht, die Gegenwart und den modernen Menschen abzubilden. Der Fluss der Ideen und Vorstellungen, der das Werk bei Larionov umhüllt, kommt nicht ohne lebensnahe Eindrücke aus. Im vorliegenden Fall werden in der Komposition die Rückkehr zum Wappen des zaristischen Russlands, die Ermordung des einzigen Thronfolgers, die Spiele des Kreml mit dem liberalen Zaren und die allegorische und metaphorische Methode des Denkens veranschaulicht.

Abschliessend sage ich, dass es in der Komposition nicht nur Bilder des Bösen aus dem Märchen, sondern auch des Bösen aus der Geschichte gibt. Es ist dies die naturalistische Darstellung der Folterkammer, die unheilverkündenden, hinterlistigen schwarzen Figuren der Beamten, die dunkeln Wein in die Becher giessen, Zuckerbrot und Peitsche für das Volk, das Verlesen von Zarenerlassen. Das ist die Fortsetzung des Palecher historischen Genres auf der Grundlage des Realismus.

Entstanden ist ein monumentales Werk des historischen Genres auf der Grundlage des Realismus. Es ist das einzige Werk, das wert ist, einen Platz neben der Platte „Boris Godunov" von Golikov einzunehmen, die ihm in vielem ähnlich, in vielem aber auch von ihm verschieden ist. Eine solche Gegenüberstellung deckt den gegenwärtigen Charakter von Larionovs Arbeit auf.

Nach so einem steilen Aufschwung hat der Motor gleichsam ausgesetzt, es begann eine schöpferische Krise, ein Zickzackkurs und Verwerfungen von einer zur anderen Seite. Gerade erst hatte er begonnen, alle Genres Palechs einem einzigen Stil auf der Grundlage des Palecher Realismus und des Empfindens der Gegenwart anzunähern. Jetzt wird diese Tradition scharf abgelehnt.

In der „Schneiderwerkstatt", die irgendwie mit Šuja verbunden ist, kopiert er eine Zeichnung oder ein Bild in direkter Perspektive im Geist des russischen Realismus vom Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts. Das Vorbild ist mir unbekannt, der Künstler schweigt sich darüber aus. Aber niemand in Palech kann so zeichnen. Der Künstler stellt eine solche Darstellung einer menschlichen Figur dem primitiven Palecher Realismus gegenüber. Aber das kann man nur kopieren (???).

Zur selben Zeit kopiert N. Kozlova ihre „Dekadenten., Zur selben Zeit urteilt Larionov überzeugt im Geist über die postmoderne Theorie, dass im Kunstschaffen bereits alles gesagt sei; es bliebe nur noch das Zitieren, Neues aus Zitaten zu schaffen.

So erscheint die Phantasie „Vor der Zitadelle". Ausgehend von der Phantastik des Märchens, wendet er sich dem mittelalterlichen Ritterroman und dem Epos Westeuropas zu. Die Komposition erinnert an eine typische Episode („Aventüre" im Sinne von Kapitel) aus dem deutschen „Kudrunlied" (das den „Nibelungen" nahesteht). Meines Erachtens ist die allgemeine Komposition entlehnt, aber in ihr sind einige Hauptgestalten aus anderen Quellen („Zitate") ersetzt, doch sind die Nähte der Zusammensetzung sichtbar. Vieles erinnert mich an etwas. Dann erinnerte ich mich an das Portrait des englischen Königs Heinrich VIII. in Lebensgrösse, eine Arbeit des bedeutenden Hans Holbein des Jüngeren. Das Portrait ist genau kopiert („Zitat"), aber eingesetzt als einfacher Ritter, der neben dem Feldherrn sitzt. Ich erkenne ein Fragment aus Raffael. Im Ganzen hat die Komposition den Raum des Barocks bewahrt, teilweise herrscht ein Gemisch von Renaissance und Manierismus. STIL!!!
Bei der Zitadelle.
Michail Larionov
(Ausschnitt)
Plötzlich wendet sich Larionov von Realismus und Renaissance der Avantgarde und dem Modernismus zu. Dies zeigt sich kühn in der Arbeit „Das Schräubchen und das Spündchen". Sie löste einen Schock aus, war eine Sensation. Larionov hat auf seine Art eine Attraktion hervorgebracht. Dies entsprach seiner Natur, war aber bei den Avantgarde-Künstlern entlehnt. Ausserhalb von Palech hätte es einen solchen Effekt nicht hervorgerufen.

Die Basis der Komposition ist die ungewohnte Verwendung der Perspektive. Es wirkte die „Philosophiererei" der Modernisten im neuen Raum als Hauptinhalt der Kunst ein, auch das Beispiel eines deutschen Expressionistem, der in derselben Perspektive von oben den roten Turm auf dem Platz der Stadt dargestellt hatte. Bei ihm und bei Larionov bewahrte die Architektur ihre reale Gestalt. Dann führte sie wie die erwähnte „Philosophie" zur Mystik, zum Absurden. „Das Schräubchen" und „Das Spündchen" sind die Spitznamen der Helden der Kindererzählungen des Schriftstellers N. Nosov, fröhliche und schlagfertige Erfinder. Larionov liebte sie seit seiner Kindheit, wobei er sie für ein ideales Modell seiner Persönlichkeit hielt. Ich meinerseits definiere sie als sowjetische Leonardos da Vinci. Larionov erzählte, dass er sich unter ihrem Einfluss von Kindheit an für das Konstruieren begeisterte und damit bis jetzt fortfährt. Jetzt ist dies Design und Projekte. Unter dem Einfluss der Avantgarde und des Modernismus ist er der Ansicht, dass das Kunstwerk ein Gegenstand ist, und jeder Gegenstand ein Kunstwerk. Daher kommt auf den Ausstellungen das Gemisch von Miniaturen, Alltagsgegenständen, Fahrradmodellen aus Draht usw.

Das Sujet der Komposition ist unabhängig von Nosov. Die Knaben haben aus einem Staubsauger ein Flugzeug gemacht und machen einen Rundflug über Palech. Es gibt keine strenge Perspektive. Einige Gesichtspunkte. Die Gebäude sind mit Verschiebungen in den Raum mit den Kreuzungen gestellt, mit einer Deformation wegen der Ordnungsmässigkeit der Komposition. Als Ganzes ist das Expressionismus. Der Glockenturm krümmt sich am Rand des runden Formats. Seiner Silhouette entsprechen kompositionsmässig die zwei geometrisierten, zerbrochenen Flügelflächen des Flugzeugs im Stil des Suprematismus von Malevič. Zum ersten Mal ist der Raum mit „auf den Kopf gestellten" Gegenständen dargestellt.

Im abstrakten Stil ausgeführt sind „Djuk Stepanovič" und „Unterwegs". Die Bylinen-Komposition bewahrt ihre Konkretheit im Titel (Name des Helden) und in den Resten der Konkretheit in der Darstellung. Die Grenze der Abstraktion bilden die schiefen Linien Kandinskijs.

Wenn man sie vergleicht mit P. Baženovs Miniatur „Djuk Stepanovič" (aus dem Palecher Museum), sehen wir, in welche Leere Palech die abstrakte Kunst wirft. Larionov jedoch hat sich dazu entschlossen, jegliche Anzeichen der Gegenständlichkeit abzuschütteln, und zeichnete die Arbeit „Unterwegs", wobei er „Djuk" vereinfachte. Hier ist alles erfüllt mit schlangenhaft kriechenden Kurven aus den abstrakten Kompositionen von Kandinskij. Und obwohl (???) sich Larionov damit lossagte vom Abstraktionismus (???), bewahrte er doch seine Sympathie für die schlängelnden Kurven in vielen seiner Kompositionen.

Die neue Periode setzt sich bis in unsere Zeit fort, sehr kompliziert, verworren, dramatisch, und womit es enden wird, ist ein Rätsel. Der Abstraktionismus bezeichnete die Grenze zwischen Tradition und Avantgarde, vom Expressionismus bis zum Absurden.

In der ersten Periode überwog der lineare, graphische Grundsatz. In der zweiten herrscht das Element der malerischen Freiheit. Der Malstil wechselt sich ab mit dem dekorativen Stil farbenreicher, flacher Silhouetten auf schwarzem Hintergrund. Vergleichen wir nur einmal die Miniaturen „Die Räuber" und „Die Gärten des Schwarzen Meeres".

Nachdem Larionov den krankhaften Abstraktionismus abgeschüttelt hatte, konzentrierte er sich auf den Expressionismus, einen schmiegsamen, ideell-künstlerisch vielfältigen, geistig intensiven und dramatischen.

Der Expressionismus von „Schräubchen und Spündchen" ist äusserlich, demonstrativ. Eine programmatische Bedeutung hat die Arbeit „Der Sturm".

Es könnte scheinen, es sei eine primitive Illustration, aber das scharfe Auge des Spezialisten bemerkt winzige Nuancen, die zu den Quellen, zu gigantischen Gemälden führen: „Das Floss der Medusa" von Géricault, „Die Dante-Barke" von Delacroix und die Serien seiner Schiffbrüche. In den Kunstgeschichtsstunden an der Schule habe ich in einer solchen Gesamtheit die französische Romantik dargebracht, die mich tief bewegte.

Ich sagte, dass Larionov im Grunde genommen der Idee des „Flosses der Medusa" nicht widersprochen hat. Aber es ist keinerlei formale Ähnlichkeit zu bemerken. Es handelt sich um die allegorische (sinnbildliche) Interpretation des Inhalts und der Geschichte der Malerei von Géricault. Unlängst sagte Larionov, er habe damals an das Meer, an die Elemente gedacht, aber die Arbeit sei nicht gelungen. Die Idee erhielt ihre Weiterentwicklung in den „Räubern" und anderen Arbeiten.

Er unterstrich, dass er sich in allen seinen Arbeiten bemühte, die Gegenwart und den modernen Menschen wiederzugeben. Obwohl ich das geahnt und erwartet hatte, hörte ich so etwas doch zum ersten Mal aus seinem Mund. Ich war davon überzeugt, dass er bei der Arbeit am „Sturm" nicht umhin konnte, an die Zerstörung Russlands zu denken und sie zu erleben.

In „Der Sturm" erscheint zum ersten Mal ein neues Modell der Menschendarstellung. Im Unterschied zum Palecher und realistischen Modell ist es ein expressionistisches. Dies forderten die Formen der Naturgewalt.

Das ist zu sehen in „Der Sturm". Das Meer ist in einem spielerisch-ornamentalen dekorativen Saum abgebildet. Doch Entfesselung und Kraft der Naturgewalt ist durch den geschlossenen Haufen der Körper dargestellt, wie in einem akrobatischen Ballett oder in einer Skulptur Michelangelos („Das Jüngste Gericht"). Und irgendetwas erinnert an Michelangelo: sowohl die Skulpturhaftigkeit der Form als auch die Athletik als auch der Körperbau. Und im Zusammenhang damit die unförmige Gedrücktheit. Aber das vereinfacht die Arbeit, stört nicht Lebendigkeit und Improvisation der Phantasie, der Intuition.

Diese Figuren vereinigen Flachheit und Rundheit; in ihrer perspektivischen Verkürzung kann man sie umbiegen und zusammenfalten, wie ein Blatt Papier, zusammenklappen und eine Figur mit der anderen verflechten; man kann sie zerknüllen. Die Komposition ist unstabil, künstlerisch unsystematisch, das Gefühl für die Technik ist verlorengegangen, ebenso wie Harmonie, Eleganz und Schönheit. Es entsteht das Chaos.

In der Komposition „Die Räuber" verkörpert sich die allgemeine Idee des Chaos in der Menschenmasse mitten in der Natur. Das blutige Gemisch von Morden und Plünderungen ist hineingepresst in die raubgierigen, verbogenen, scharfen Äste vertrockneter Bäume. Im verwickelten Knäuel sind einzelne Figuren nicht zu unterscheiden, ausser einer, am Rand. Sie ist deutlich erkennbar, die flache, ausgeleuchtete Silhouette ist das einzig skizzierte Wesen am Rand der Masse. Es ist der Ataman Kudejar, mit dessen Namen die Komposition ursprünglich benannt war. Aber das Allgemeine und das Einzelne bilden kein künstlerisches Werk. Hier ist es die christliche Reue Kudejars.
Die Räuber.
Michail Larionov
Larionov hörte erschüttert den Gesang von Schaljapin, aber eine psychologische und realistische Ausarbeitung des Bildes gelang nicht, es entsprach der intuitiven und unterbewussten schöpferischen Methode des Bewusstseinsstroms nicht. Es half der Expressionismus, der erlaubte, die ausdrucksvolle Figur monumental zu skizzieren. So ist Kudejar dargestellt. Am Rand des blutigen Knäuels hebt sich seine schematische Gestalt durch ihre Helligkeit ab; er hat sein Opfer niedergetreten, um es abzuschlachten. Aber … die Hand hat sich geöffnet, das Messer ist ihr entfallen.

Ich fand, dies sei die schematische Kopie der Hand Abrahams aus dem Gemälde „Die Opferung Isaaks" (Ermitage) von Rembrandt. Sein Gesicht hat Kudejar ebenfalls nach oben gewendet, wo der Engel ist. Vom Himmel ist das göttliche Licht in Gestalt eines Bündels goldglänzender Linien auf Kudejar gerichtet. So ist konventionell-symbolisch durch Zeichen und „Zitate" die Idee der christlichen Reue mit expressionistischen Kunstgriffen ausgedrückt.

Dieses Bild ist eine Allegorie unseres irdischen Lebens. Er schliesst es in ein breiteres Bild der allgemeinen christlichen Vorstellung vom Aufbau der Welt ein: die irdische Welt grenzt an die unterirdische und himmlische. Im Kontrast zu dem hellen Engel krümmen sich vor Bosheit unten und an den Rändern im Dunkel des schwarzen Hintergrundes blau-grüne Dämonen.

In der Arbeit gibt es keine Einheit des Stils. Der Expressionismus wechselt mit anderen Stilen ab. Emotional herrscht der Malstil des flämischen Barocks des XVII. Jahrhunderts (die Rubens-Schule) vor. Eingefügt sind Formen der symbolistischen Ikonenmalerei des primitiven Stils.

Der farbenreiche Akkord des Lichts gibt die Erschütterung durch den dramatischen Gesang Schaljapins wieder. Alles vereinigt der Bildmalstil des Rubens´schen Barocks.

Das Jahr 1988 ist auf besondere Weise im Schaffen von Larionov und Kozlova gekennzeichnet. Im vom Russischen Kulturfonds herausgegebenen Faltblatt der Ausstellung «Nach dem Winter» in Ivanovo und Moskau lesen wir:

„1988. «Nach dem Winter»
Proklamierung eines Manifestes
Hit der Ausstellung ‒ «Der Sprung in eine andere Welt» (D. Molodkin)
Das Problem der gegenseitigen Durchdringung der Räume
Ort: Palech, Mstera"

Ich erinnere mich: Larionov hat oft über die Probleme des Raums und die Wiedergabe der Bewegung als Grundlage des Schaffens gesprochen. Künstlerisch überzeugend löste er diese Aufgabe in der Komposition „Der Sargtischler" (nach Puschkin, 1988). In einer einzigen, unteilbaren Komposition werden zwei Episoden dargestellt, die sich in einer Drehung um 90 Grad berühren. Die vertikal stehende Figur in der einen Episode ist quer gelegt, die horizontal stehende in der anderen Episode (???). Dies ist ein Beispiel für die gegenseitige Durchdringung der Räume. Aber das ist eine Absurdität. Doch warum? Es handelt sich darum, dass in den verschiedenen Räumen „verschiedene Welten" dargestellt sind. In der einen die Haufen der betrunkenen Gäste des Schusters, in der anderen (gedrehten) die Gräber und der Knochenhaufen der Leichen. Das ist „die andere Welt"(„Fantasy"? Ironie? Mystik?). Dazwischen ist der Sargmacher, der „die Nase dreht", dargestellt; dies ist gleichsam eine Geste der Zauberei, die ihn in die „andere Welt" wirft.

Für die vollständige Illusion der Handlung wählte Larionov eine ungewöhnliche Schatulle aus bauchigen und gekrümmten Konturen. Sie hat unten keine stabile Fläche. Aufgrund ihrer Schrägheit geschieht gleichsam der „Sprung in eine andere Welt". Larionov träumte von einer Maschinerie zur Demonstration dieser Bewegung auf der Ausstellung.Ich erinnere mich: Larionov hat oft über die Probleme des Raums und die Wiedergabe der Bewegung als Grundlage des Schaffens gesprochen. Künstlerisch überzeugend löste er diese Aufgabe in der Komposition „Der Sargtischler" (nach Puschkin, 1988). In einer einzigen, unteilbaren Komposition werden zwei Episoden dargestellt, die sich in einer Drehung um 90 Grad berühren. Die vertikal stehende Figur in der einen Episode ist quer gelegt, die horizontal stehende in der anderen Episode (???). Dies ist ein Beispiel für die gegenseitige Durchdringung der Räume. Aber das ist eine Absurdität. Doch warum? Es handelt sich darum, dass in den verschiedenen Räumen „verschiedene Welten" dargestellt sind. In der einen die Haufen der betrunkenen Gäste des Schusters, in der anderen (gedrehten) die Gräber und der Knochenhaufen der Leichen. Das ist „die andere Welt"(„Fantasy"? Ironie? Mystik?). Dazwischen ist der Sargmacher, der „die Nase dreht", dargestellt; dies ist gleichsam eine Geste der Zauberei, die ihn in die „andere Welt" wirft.

Für die vollständige Illusion der Handlung wählte Larionov eine ungewöhnliche Schatulle aus bauchigen und gekrümmten Konturen. Sie hat unten keine stabile Fläche. Aufgrund ihrer Schrägheit geschieht gleichsam der „Sprung in eine andere Welt". Larionov träumte von einer Maschinerie zur Demonstration dieser Bewegung auf der Ausstellung.
Der Sargtischler.
Michail Larionov
Insgesamt ist diese Arbeit künstlerisch vollwertig, aus einem Guss, ist eine der besten und geht in den Grundbestand der Palecher Puschkiniana ein. Ihr Expressionismus ist organisch mit dem russischen satirischen Realismus und der Illustration des XIX.-XX. Jahrhunderts, mit dem Brutalismus, der Ironie und der Exzentrik des Modernismus verschmolzen. Das Letzte eingeschlossen in der Tiefe der ästhetischen Beziehung zur Idee des Schönen und zu Puschkin.

Mir gefällt die Beziehung der Avantgarde und des Modernismus zu Puschkin nicht. Für uns in Palech wäre es nicht schlecht, unsere Aufmerksamkeit auf die Ideen des führenden Puschkinspezialisten V.S. Nepomnjaščij zu wenden, der dies als „Satanismus" definierte. („Literaturnaja Gazeta, 2001, Nr. 15).

„Der Dampfer" (1999). Der Jazzliebhaber und –kenner stellt den Jazz von Utësov und das Sujet eines bekannten Werks dar, aber undeutlich. Die Hauptsache ist die musikalische Besonderheit des Jazz. Ich denke, dass er die Jazzrhythmen in intuitiven Streuungen, Kontrasten und Verbindungen expressiver Silhouetten von Figuren und Gruppen fein und deutlich wiedergegeben hat. Das ist tiefe Intuition. Für die rhythmischen Kontraste der Grössenverhältnisse der Figuren verwendete er die Zimmerflucht der vertikalen Ausschnitte des Schiffsrumpfs, wobei er auf die darstellende Oberfläche aus dem Inneren sogar einen Heizer beim Feuern hinausführt (???).
Der Dampfer.
Michail Larionov, 1999
„Die Hirten und der Schornsteinfeger" stellt viele gegenseitige Durchdringungen der Räume auf der ganzen Oberfläche rund um das Brillenetui dar. Aber das sind nur die äusserlichen, erzwungenen Kunstgriffe zum Nachteil der Märchenhelden von Andersen. Sie sind äusserst schematisiert, nicht porzellanhaft (???), und wiederholen sich einförmig. Wegen formaler Kunstgriffe hat sich der Künstler von der Ausarbeitung des Bildes abgewandt.
Die Hirten und der Schornsteinfeger.
Michail Larionov

„Ljudmila im Garten des Černomor" ist die Rückkehr zu den Wurzeln des Palecher Stils: dekorativer schwarzer Hintergrund, linear-flache Zeichnung, Märchengenre und Bildhaftigkeit. Etwas Ähnliches finden wir in „Der Zirkus".
Ljudmila im Garten des Černomor.
Michail Larionov
(Ausschnitt)

„Der Zirkus" ist ein volles Sortiment (ein Katalog) der Exzentrik und der Rolle des Zirkus. Vielleicht der Einfluss der Werbekunst. Der Raum ist flächenhaft, absurd.
Der Zirkus.
Michail Larionov

„Die gestreifte Fahrt" (nach dem Kinofilm) ist ein kompliziertes Zirkus-Kinosujet. Der voluminöse Raum ist zusammengepresst und höchst verdichtet durch Tiere und Menschen. Aber das ist kein Chaos, sondern eine künstlerisch-geordnete Komposition. Das komödiantische Sujet ist sehr ironisch dargestellt. Die Tiere sind vermenschlicht und verbinden ihre tierische Anmut und ihre Charakteren mit menschlichen, psychologisch ausdrucksvollen Mäulern (besonders die Löwinnen mit ihrem kindlichen Lächeln und ihrer Schlauheit). Leider ist die Löwendompteurin Irina Bugrimova sehr schematisch.
Die gestreifte Fahrt.
Michail Larionov

„Im Hafen von Capetown" (Lied) ist eine absurde, chaotische Komposition. Die extremste Entwicklung eines Bildes des Elementes. Ein Triumph der Schamlosigkeit, Vulgarität und des Brutalismus. Larionov begründet eine solche Betrachtunsgweise gleichsam durch eine gemeinsame Nationalfolkloristik des Liedes (???).
Im Hafen von Capetown.
Michail Larionov


„Die Prinzessin auf der Erbse" (Märchen von Andersen). Ein vollständiger Triumph der absurden Kunst, des Zerfalls der Komposition. Wahrhaftig „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer" (Goya). Die humane, helle Welt des Märchens von Andersen ist bis zur albtraumhaften Vision entstellt. Die verständlichste riesige Figur, zusammengesetzt aus einem Schrank und einem weiblichen Torso, stellt die Königin dar. Hier haben wir eine trickreiche Variante des Sprungs „in eine andere Welt". Die natürliche Erbse drängt sich durch eine Öffnung auf die Darstellung auf dem Deckel der Schatulle. Wir entdecken und lesen folgende Aufschrift: „Echte Erbse. Der Experte M. Larionov. 2000". Das bedeutet, dass die Erbse aus der Welt des perversen, absurden Bewusstseins in die Welt des gesunden Bewusstseins gedrängt ist. Aber warum nur eine Erbse, und nicht das ganze Märchen?
Die Prinzessin auf der Erbse.
Michail Larionov, 2000
Die Prinzessin auf der Erbse.
Michail Larionov, 2000
Deckel Innenseite.

Wir werden auf weitere Phantasiesprünge des noch jungen Künstlers warten, mit grosser Hoffnung!