Wir sind zum komplizierten und nicht sehr klaren Verständnis der Tektonik gelangt, das Valentin Chodov sehr nachdrücklich in seinen letzten Jahren vorbrachte. Die Arbeiten von Larionov geben Anlass zu seiner Diskussion und Verdeutlichung. Ein leuchtendes und klassisch klares Beispiel ist die Komposition „Die Froschprinzessin" (1994) mit der Darstellung der Ankunft der Zarentochter zum Festmahl.
Die Arbeit ist traditionell, jedoch auf innovative Art ausgeführt. Man kann dies einen strengen Stil nennen. Zur Veranschaulichung wollen wir sie mit der Miniatur „Die drei Zarensöhne" (1996) vergleichen, die in gotisierender Manier ausgeführt ist (das Resultat des Studiums der internationalen Gotik und des Manierismus). Der strenge Stil in Einheit mit der klassischen Klarheit der geometrisierten Tektonik und die Eingliederung der inhaltlichen Handlung in die Darstellung des Palastes nähern sich organisch der Quelle der Architektonik – der griechischen Architekturanwiesung. Dort ist es nicht nur der Parthenon-Tempel, sondern auch Polykleitos´ Statue eines Doryphoros (Speerträger). In Larionovs Komposition sind die Darstellungen der Pferde architektonisch, die an Bronzestatuen des antiken Rom erinnern.
Ausserdem sind in der Komposition Anklänge von nordrussischen Spinnrocken zu entdecken. Ich habe das gleich wahrgenommen, und Larionov erzählte, dass er diese Spinnrocken studiert sowie Bildbände gelesen und durchgesehen habe.
Diese Arbeit ist ein Muster der schöpferischen Entwicklung der Palecher Tradition und würdig, in einer Reihe seiner Meister- und Musterwerke, zu stehen. Das ist noch ein Werk reinen Stils und der Tradition, ohne einen Wermutstropfen der Avantgarde und des Modernismus. Und in dieser Tradition schafft Larionov sein originelles Werk. Die Tradition stört die Individualität nicht.
Der gefundene Weg ist kein zufälliger Erfolg, sondern der Beginn einer fruchtbringenden Entwicklung.
Die Komposition „Die Gäste" kehrt vom Märchen zur Realität zurück. Dies ist ein realistisches Palecher Alltagsgenrebild, das erste Beispiel einer tiefen lebensechten Darstellung. Man könnte dies auf ihre Art eine Revolution nennen, die zweite nach dem Übergang von der Ikone zur Lackminiatur.
Ich erinnere mich an die Worte von A.V. Kotuchin, die er 1949 an der Schule zu mir sagte: „Es gibt eine realistische Kunst, die man in den Mal- und Zeichenstunden nach der Natur lernt; unsere jedoch, die Palecher Kunst, ist eine konventionelle Kunst."
Auch früher, in der „Genossenschaft", und von da an bis in unsere Tage lodert sie bald auf, spitzt sich zu, bald ändert sie die Formen und lässt die Opposition dieser gegensätzlichen Gesichtspunkte abklingen.
Nach dem Krieg dann dieser Gegensatz zwischen den „Alten" und den Jungen, danach der Kampf gegen die „Tafelmalerei", zu Zeiten von Chodov für das Primitive gegen das Studium des akademischen Zeichnens und Malens, schliesslich im Zusammenhang mit der Perestrojka der Kampf um die Freiheit der Individualität und der Tradition.
Die Wahrheit liegt, wie gewöhnlich, in der Mitte. Sie ist in der tiefen wissenschaftlichen Geschichte der Palecher Kunst selbst enthalten, die frei von gekünstelten, abstrakten „Theorien" ist.
Der „Palecher Realismus" von Larionov ist das Ergebnis der tatsächlichen Geschichte der Palecher Kunst, die entstand und sich entwickelte unter dem Einfluss der ständigen Verbindungen sowohl mit der Weltkultur als auch mit der Weltkunst (sogar mit der altchinesischen, sassanidischen und persischen). Ohne dies hätte sie sich nicht nur nicht entwickeln, sondern nicht einmal entstehen und in die zeitgenössische Weltkultur eingehen können, wie er (Larionov???) nicht ausserhalb des menschlichen und tierischen Organismus entstehen konnte.
Wie jeder Künstler, besass Larionov dies natürlich in der tief intuitiven Form der Routinen, Fähigkeiten und Vorstellungen, zusammen mit seinen persönlichen bewussten Korrektiven mit dem „Plus-" und „Minus-"Zeichen.
Die Platte „Die Gäste" ist das Resultat des allgemeinpalechschen und individuellen Zusammenwirkens von „Realismus" und „Konvention" der Weltkunst. Ich betone, dass dies kein Ersatz der Palecher Tradition durch einen woher auch immer genommenen Realismus ist. Dies ist der Palecher Realismus. Der Stil oder die Tradition von Palech ist in dieser Arbeit offensichtlich. Alle Figuren haben sogar die Stilisierung der Ikonen und Miniaturen bewahrt, die Proportionen, die Feinheit, die Schönheit, die technischen Methoden, der lineare Stil, die Bemalung mit Gold. Bei all´ dem sind alle Figuren realistisch, zeitgemäss, typisch und hoch künstlerisch.
Die Palecher Tradition ist sowohl in der Miniatur als auch im Ganzen zu sehen, obschon sich vieles verändert hat.
Ich glaube, es ist nicht für alle erkennbar, dass die Abbildung des Raums vom klassischen Stil zum Barock übergegangen ist, d.h. von Veronese zu Tintoretto. Nicht alle sehen, dass man die Abbildung der Palecher Märchengastmahle nach dem Muster der bedeutenden klassischen Kompositionen von Veronese wiedergibt, wo der Tisch in direkter Perspektive hingestellt ist, parallel zur Fläche der Leinwand. Larionov hat den Tisch nach den Diagonalen hingestellt, in die Tiefe, wie bei Tintoretto in seinem „Letzten Abendmahl". (Wir stellen fest, dass das Gastmahl in der „Froschprinzessin" in einer offenen Loggia dargestellt ist, nach dem Muster der Renaissance). Diese Vorbilder, durch Tausende von Händen der Palecher gegangen, haben sich verwandelt, so dass man sie nicht wiedererkennt.
„Die Gäste" stellen das feiertägliche Leben im Hause von Larionov und der Kozlova dar. Es ist das, was ich unlängst in meinem Aufsatz über N. Kozlova zum ersten Mal als „Salon" definiert und erklärt habe (ich werde es nicht wiederholen). Dieses Haus hat Michail selbst entworfen und gezimmert, auch hat er die Ausstattungs- und technischen Arbeiten ausgeführt. Das Haus ist in schiefer Perspektive mit vertikalem Schnitt und gewissen künstlerischen Konventionen dargestellt.
Das Sujet ist nicht mit einem bestimmten Tag verbunden, sondern ist eine künstlerische Verallgemeinerung des Milieus, das sich um Larionov und Kozlova gruppiert. Grammophon und Tänze, die allgemeine Stimmung, der rituelle Charakter und die Art der Personen, sich zu benehmen, drücken Poetizität und einen besonderen Retrostil aus.
Es könnte scheinen, dass die einfache und verständliche Komposition Fragen und Rätsel aufgeben würde. Oben unter dem Dach in einer abgeschiedenen Mansarde (Giebelzimmer) befindet sich, tief in Gedanken versunken, der Künstler, nachdem er die Gäste verlassen hat, fern von Lärm und Heiterkeit. Ein seltsames Verhalten! Vielleicht der missglückte Ausdruck des Konflikts zwischen schöpferischer Individualität und Gesellschaft? Im Gegensatz zum Künstler-Einsiedler dringt von der Strasse die lärmende Schar der fröhlichen Zechbrüder ins Haus hinein. Es stellt sich heraus, dass das Wohnzimmer von Gästen überfüllt ist, und immer noch nähern sich Leute von der Strasse! Und im Saal mit den Gästen legt man die kleine Tochter schlafen.
Mit Verwunderung erkenne ich, dass das Mädchen dreimal, in unterschiedlichem Alter, abgebildet ist. Dies ähnelt dem Film von N. Michalkov über seine Tochter, aufgenommen in verschiedenen Jahren.
Somit ist die Komposition „Die Gäste" vom Gesichtspunkt des Kinos her nicht eine Szene, sondern ein ganzer Film: im unbeweglichen Raum ist der Lauf der Zeit eingeschlossen. Dies ist die kompositionsmässige Synthese einer bestimmten Lebensphase. Wie in einer Filmszene die Tochter nicht in drei unterschiedlichen Altersstufen auftreten kann, kann es auch nicht so viele Gäste auf ein Mal geben. Ich denke, dass die Komposition einen Umbruch in Larionovs Leben wiedergibt, als er sich vom lärmig-artistischen zu einem gewissermassen bohèmehaften Leben zurückzog (unlogisch???) und sich in der Abgeschiedenheit auf die professionelle Palecher Kunst konzentrierte, von der oben die Rede war.
Dies ist auch eine Familienzusammenstellung; es werden nicht nur der Künstler und seine Tochter dargestellt, sondern auch noch seine Frau und die Mutter (die Babuschka).
Wenn wir von der Entwicklung der Tradition sprechen, bemerken wir die perspektivische Veränderung der Darstellung der ikonenhaften, d.h. „inneren Paläste" (ist die umgekehrte Perspektive gemeint???), und sprechen von der Entwicklung des realistischen Interieurs der Lackminiatur und des realistischen Stillebens in der Malerei, der nächtlichen Landschaft und der poetischen Beleuchtung. Das alles gab es bei den „Alten". Noch einmal muss man den neuen Zugang zur Darstellung der Zeit unterstreichen und ins Gedächtnis rufen, was wichtig für das Verständnis der nachfolgenden Werke des Künstlers („der Lauf der Zeit") ist. Und noch etwas: die architektonische Geschlossenheit der Komposition, besonders unter dem Einfluss der Bemalungen der nördlichen Spinnrocken (unverständlich).
Die Arbeit „Im Schloss" schliesst kompositionsmässig eng an die vorhergehende an und entwickelt das Prinzip der Architektonik bis zur klassischen Reinheit. Diese Miniatur kann man ein monumentales Werk nennen. Dies ist ebenfalls durch das Palecher historische Genre bedingt, und alles ist im genau bestimmten Palecher traditionellen Stil gemalt. Aber die Bojaren sind hier nicht Statisten, keine dekorativen Figuren, sondern Teilnehmer an der dramatischen Handlung. Auf dieser Grundlage entstehen realistische Bilder. Das umfangreiche System der Küchen-Stilleben ist im niederländischen Malstil. Das zahlreiche Küchengesinde ist abwechslungsreich, typisch, flink und geschickt bei der Zubereitung der verschiedenartigen und appetitlichen Speisen und der Bedienung der Tische. Es ist glänzend gezeichnet und gemalt im realistisch dargestellten Palecher traditionellen Stil. Typisch und charakteristisch ist der Fries der Volksmassen an der Basis der Komposition. Aber die Komposition ist rätselhaft!
Im Zentrum ist ein leerer Thron mit der betonten Silhouette des zweiköpfigen Zarenadlers dargestellt. Hinter den Vorhängen sind die Zarengewänder und die Regalien vorbereitet, erwartungsvoll thronen die vertrautesten Bojaren, aber es ist geheimnisvoll, es gibt keinerlei Andeutung der Anwesenheit des Zaren.
Der Schlüssel zu diesem Rätsel liegt in der Einfügung der Märchenepisode aus „Zar Saltan" mit der Abbildung der Zarin, die Saltan einen Thronfolger und Helden geboren hat; man rollt sie in einem Fass ins Meer. Wie gesagt wurde: „Das Märchen mag eine Lüge sein, doch ist in ihm ein Wink, guten Burschen eine Belehrung" (Puschkin). Und in der Komposition gibt es solche Hinweise, nur offenbart sie eine scharfsinnigere und tiefere Interpretation oder deckt sie der Künstler selbst auf. Ich bin davon überzeugt, besonders nachdem man mir unlängst gesagt hat, dass er sich in jedem seiner Werke bemüht, die Gegenwart und den modernen Menschen abzubilden. Der Fluss der Ideen und Vorstellungen, der das Werk bei Larionov umhüllt, kommt nicht ohne lebensnahe Eindrücke aus. Im vorliegenden Fall werden in der Komposition die Rückkehr zum Wappen des zaristischen Russlands, die Ermordung des einzigen Thronfolgers, die Spiele des Kreml mit dem liberalen Zaren und die allegorische und metaphorische Methode des Denkens veranschaulicht.
Abschliessend sage ich, dass es in der Komposition nicht nur Bilder des Bösen aus dem Märchen, sondern auch des Bösen aus der Geschichte gibt. Es ist dies die naturalistische Darstellung der Folterkammer, die unheilverkündenden, hinterlistigen schwarzen Figuren der Beamten, die dunkeln Wein in die Becher giessen, Zuckerbrot und Peitsche für das Volk, das Verlesen von Zarenerlassen. Das ist die Fortsetzung des Palecher historischen Genres auf der Grundlage des Realismus.
Entstanden ist ein monumentales Werk des historischen Genres auf der Grundlage des Realismus. Es ist das einzige Werk, das wert ist, einen Platz neben der Platte „Boris Godunov" von Golikov einzunehmen, die ihm in vielem ähnlich, in vielem aber auch von ihm verschieden ist. Eine solche Gegenüberstellung deckt den gegenwärtigen Charakter von Larionovs Arbeit auf.
Nach so einem steilen Aufschwung hat der Motor gleichsam ausgesetzt, es begann eine schöpferische Krise, ein Zickzackkurs und Verwerfungen von einer zur anderen Seite. Gerade erst hatte er begonnen, alle Genres Palechs einem einzigen Stil auf der Grundlage des Palecher Realismus und des Empfindens der Gegenwart anzunähern. Jetzt wird diese Tradition scharf abgelehnt.
In der „Schneiderwerkstatt", die irgendwie mit Šuja verbunden ist, kopiert er eine Zeichnung oder ein Bild in direkter Perspektive im Geist des russischen Realismus vom Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts. Das Vorbild ist mir unbekannt, der Künstler schweigt sich darüber aus. Aber niemand in Palech kann so zeichnen. Der Künstler stellt eine solche Darstellung einer menschlichen Figur dem primitiven Palecher Realismus gegenüber. Aber das kann man nur kopieren (???).
Zur selben Zeit kopiert N. Kozlova ihre „Dekadenten., Zur selben Zeit urteilt Larionov überzeugt im Geist über die postmoderne Theorie, dass im Kunstschaffen bereits alles gesagt sei; es bliebe nur noch das Zitieren, Neues aus Zitaten zu schaffen.
So erscheint die Phantasie „Vor der Zitadelle". Ausgehend von der Phantastik des Märchens, wendet er sich dem mittelalterlichen Ritterroman und dem Epos Westeuropas zu. Die Komposition erinnert an eine typische Episode („Aventüre" im Sinne von Kapitel) aus dem deutschen „Kudrunlied" (das den „Nibelungen" nahesteht). Meines Erachtens ist die allgemeine Komposition entlehnt, aber in ihr sind einige Hauptgestalten aus anderen Quellen („Zitate") ersetzt, doch sind die Nähte der Zusammensetzung sichtbar. Vieles erinnert mich an etwas. Dann erinnerte ich mich an das Portrait des englischen Königs Heinrich VIII. in Lebensgrösse, eine Arbeit des bedeutenden Hans Holbein des Jüngeren. Das Portrait ist genau kopiert („Zitat"), aber eingesetzt als einfacher Ritter, der neben dem Feldherrn sitzt. Ich erkenne ein Fragment aus Raffael. Im Ganzen hat die Komposition den Raum des Barocks bewahrt, teilweise herrscht ein Gemisch von Renaissance und Manierismus. STIL!!!