Die Geschichte von Petr und Fevronija von Murom - Eine Lackarbeit von Ol'ga Kolygina
Im Jahr 2017 malte die Palecher Lackkünstlerin Ol'ga Vasil'evna Kolygina eine Dose mit dem Titel
Die Geschichte von Petr und Fevronija.
Die Legende über das Fürstenpaar Petr und Fevronija entstand im 15. oder 16. Jahrhundert. Die offizielle kirchliche Verehrung setzte 1574 mit ihrer Kanonisierung ein. Ursprung des Kultus mag Fürst David Jur'evič von Murom gewesen sein. Chroniken zum Jahr 1228 vermelden seinen Tod als Mönch, ebenso den Tod seiner Frau mit dem Nonnennamen Efrosin'ja. Weit über 100 erhaltene Handschriften zeugen von der Popularität der beiden Heiligen von Murom. (Literatur: O Bojan, du Nachtigall der alten Zeit; Helmut Grasshoff, Klaus Müller, Gottfried Sturm Hrsg., Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main, Wien, Zürich, 1966. Russische Heiligenlegenden; Ernst Benz Hrsg. Verlag Die Waage, Zürich, 1989. Altrussische Heiligenlegenden; Konrag Onasch Hrsg., Union Verlag, Berlin, 1977).
Die Geschichte von Petr und Fevronija, Handschrift der Altgläubigen aus dem 18. Jahrhundert. (https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/30/The_Tale_of_Peter_and_Fevronia.jpg - 06.04.2020)
Der folgende Aufsatz verfasste die Künstlerin Ol'ga Kolygina. Sie erzählt die für ihre Lackarbeit relevanten Geschehnisse aus der Geschichte des Fürstenpaares, äussert sich zu ihrer Komposition und lässt den Leser ihre Empathie für diese poesievolle Legende über echte und ewige Liebe spüren.
Die Übersetzung des russischen Textes von Ol'ga Kolygina besorgten Elena Buljukina und Felix Waechter.
Ol'ga Vasil'evna Kolygina Petr und Fevronija, Palech 2017, Papiermaché, Eitempera, Gold, Lack 19,9 x 27,0 x 4,9 cm.
Diese Arbeit ist etwas Besonderes in meiner künstlerischen Tätigkeit. Nie zuvor habe ich auf einer Schatulle religiöse Erzählungen, das Leben der Heiligen oder Geschichten von Wundern und Heldentaten dargestellt. Die Geschichte von Petr und Fevronija ist absolut einzigartig; sie ist jeder russischen Familie vertraut und erzählt von Prüfungen, von Liebe und Treue, von der Wichtigkeit der Familie. Bevor ich mit dieser Arbeit begann, hatte ich die Erzählung über diese Heiligen immer wieder gelesen, und ich muss sagen, ihre Geschichte ist wirklich inspirierend. Wie bereits gesagt, die Geschichte von Petr und Fevronija – das ist die Geschichte einer wunderbaren Liebe und Treue zwischen einem Fürsten und dem einfachen Dorfmädchen Fevronija. Das Leben dieses Paares ist ein Beispiel für Harmonie in der Familie, für Respekt und Achtung voreinander. Die Geschichte verbindet zwei volkstümliche Sujets: ein magisches Märchen über eine feurige Schlange, und die Geschichte über eine weise Jungfrau. Die Komposition dieses Werkes basiert auf der Erzählung, dargestellt sind die wichtigsten Szenen aus dem Leben von Petr und Fevronija.
Die Geschichte beginnt auf der Lackdose links oben. Ein dämonischer Drache – die Personifizierung des Bösen – kommt zur Fürstin geflogen und verwandelt sich in ihren Ehemann Pavel, um sie zu verführen.
Ol'ga Vasil'evna Kolygina Petr und Fevronija, Fragment. Der Drache kommt zur Fürstin.
Pavel erkennt, dass sein Bruder Petr dazu bestimmt ist, den Drachen mit dem Schwert Agrikas zu vernichten. Er wendet sich an Petr, bittet ihn um Hilfe, und dieser macht sich auf die Suche nach dem Schwert. Ein Engel in der Gestalt eines Jungen erscheint und zeigt ihm das in der Wand des Klosters versteckte Schwert.
Ol'ga Vasil'evna Kolygina Petr und Fevronija, Fragment. Der Junge zeigt Petr dass Schwert Agrikas.
Im Kampf besiegt Petr den Drachen, aber dessen giftiges Blut überzieht den Körper des Fürsten, es bilden sich rätselhafte Geschwüre.
Ol'ga Vasil'evna Kolygina Petr und Fevronija, Fragment. Petrs Kampf mit dem Drachen.
Niemand kann Petr heilen, aber einer der Diener findet in einem Dorf in der Nähe von Rjazan eine Heilerin, die bereit ist, dem Fürsten zu helfen. Der Diener staunt über die Weisheit der Heilerin Fevronija und über die Wunder, die in ihrer Umgebung geschehen. Fevronija sitzt an ihrem Webstuhl, Vögel umkreisen sie und ein Hase tanzt.
Ol'ga Vasil'evna Kolygina Petr und Fevronija, Fragment. Der Diener Petrs bei Fevronija.
Fevronija überreicht dem Diener einen Heiltrank für den Fürsten. Dies aber unter der Bedingung, dass der Fürst sie heirate, wenn er wieder gesund ist, denn es sei anstössig, dass eine ehrenhafte Frau die Wunden eines Kranken behandelt, der nicht ihr Ehemann ist. Die Diener behandeln den Fürsten nach Fevronijas Anweisungen im Dampfbad, und er wird auf wundersame Weise geheilt.
Ol'ga Vasil'evna Kolygina Petr und Fevronija, Fragment. Petr wird behandelt.
Aber nachdem er geheilt ist, bricht Petr sein Wort und beschliesst, keine Frau aus dem einfachen Volk zu heiraten. Er macht ihr teure Geschenke und reist ab. Fevronija nimmt die Geschenke nicht an, und Petr leidet, nachdem er sein Gelübde gebrochen hat, wieder an Geschwüren. Er versteht, dass Fevronija eine sehr ungewöhnliche Frau ist und wahrhaftig Wunder wirkt. Ein zweites Mal geheilt, verliebt sich Petr in Fevronija und heiratet sie. Die Neuvermählten feiern ihr Hochzeitsfest.
Ol'ga Vasil'evna Kolygina Petr und Fevronija, Fragment. Die Hochzeit.
Nach dem Tod des Fürsten Pavel, mit dem wir die Erzählung begonnen haben, wird Petr Herrscher von Murom. Aber die Bojaren wollen nicht, dass eine Frau aus dem einfachen Volk ihre Fürstin ist. Sie fordern Petr auf, Fevronija aus der Stadt zu verbannen. Petr, der sich nicht von seiner Frau trennen will, verzichtet auf den Thron und verlässt die Stadt mit Fevronija.
Es folgt ein weiteres Beispiel für Fevronijas Weisheit: Ein Diener des Fürsten, der sie in die Verbannung begleitet, begehrt Fevronija heimlich, aber sie durchschaut seine Gedanken. Sie sagt zu ihm: – Schöpf Wasser von einer Seite des Bootes und trink es, und dann von der anderen Seite. Nun, ist das Wasser gleich oder süsser? – Wasser ist Wasser – antwortet der Mann – es ist immer gleich. – Also ist die Natur der Frau immer dieselbe, warum also vergisst du deine Frau und denkst an eine Andere? Der Mann erkennt seine Sünde und schämt sich.
Ol'ga Vasil'evna Kolygina Petr und Fevronija, Fragment. Der Diener schöpft Wasser.
Ein weiteres Wunder Fevronijas… Als das Paar am Ufer rastet, um zu übernachten, bemerkt Fevronija, dass der Fürst sich über seine Abreise grämt und zweifelt, ob sein Entscheid, die Stadt mit seiner Frau zu verlassen, richtig war. Sie beruhigt ihn und sagt, dass alles gut werden wird. Als Zeichen dafür werden am Morgen Bäume aus den Ästen spriessen, die für das Feuer gefällt wurden. Am Morgen bemerkt der Fürst tatsächlich zwei junge Bäume neben seinem Zelt. Am Ufer stehen die reuigen Bojaren. Sie bitten ihn, mit seiner Frau nach Murom zurückzukehren.
Ol'ga Vasil'evna Kolygina Petr und Fevronija, Fragment. Das Baumwunder und die Bojaren.
Das Paar regiert lange Jahre über Murom, und ihre Herrschaft war geprägt von Weisheit und Gerechtigkeit. Kurz vor ihrem Tod beschliessen sie, Mönch und Nonne zu werden und am selben Tag zu sterben. Ihr letzter Wille ist, gemeinsam in einem Sarg begraben zu werden, wenn der Tod zu ihnen kommt.
Die Komposition wird durch zwei Szenen abgeschlossen. Sie zeigen uns ein weiteres Wunder der Heiligen. Nach dem Tod des Fürsten und der Fürstin werden die zwei am selben Tag beigesetzt, aber entgegen ihrem Willen in verschiedenen Särgen. Man entschied, es gehe nicht an, dass ein Mönch und eine Nonne zusammen in einem Grab ruhen. Am nächsten Tag aber werden sie zusammen in ihrem Sarg gefunden und man legt sie in ihre Särge zurück. Dieses Wunder wiederholt sich dreimal. Jetzt erkennen die Menschen den Willen der Heiligen, und beerdigen sie zusammen in einem Sarg.
Ol'ga Vasil'evna Kolygina Petr und Fevronija, Fragment. Die Beisetzung.
In der Mitte der Komposition sehen wir die Heiligen Petr und Fevronija. Hinter ihnen steht ein Engel als Beschützer ihrer heiligen Vereinigung. Er symbolisiert die göttlichen Mächte, die hinter den Wundern dieser Menschen stehen und den himmlischen Schutz der Ehe.
Ol'ga Vasil'evna Kolygina Petr und Fevronija, Fragment. Der Engel beschützt die Heiligen.
Aus dieser Geschichte können wir viel lernen. Es ist eine Geschichte über Liebe und Treue, eine Geschichte der Wunder, die eine Liebe bewirken kann, aber auch eine Geschichte über die Bedeutung und Heiligkeit der Familie. Sie lehrt uns, dass wir gemeinsam alle Schwierigkeiten überwinden können und – mit Geduld und Liebe – Glück und Frieden finden. Sie zeigt uns auch, dass die Bedeutung eines Menschen weder in seinen Titeln noch in seiner Herkunft liegt, sondern in seiner Weisheit, in der Liebe.
Die Komposition des Werkes basiert unmittelbar auf Szenen aus dem Leben der Heiligen. Mit Pflanzen, Landschafts- und Architekturelemente werden all diese einzelnen Szenen zu einem Ganzen zusammengefügt. Das Werk ist in dezenten Farbtönen gemalt, ein wenig in der Art alter Kirchenfresken. Vor allem die Architektur – eine Kombination von Gebäuden aus weissem Stein und Holzbaukunst – hält die einzelnen Szenen der Komposition zusammen. Wie auf einer alten Palecher Ikone sind auf der Lackarbeit viele einzelne Szenen dargestellt. Aber im Gegensatz zu einer Ikone sind diese nicht als einzelne Randminiaturen (russisch: Klejmo) gemalt, sondern in einer einzigen Komposition zusammengefasst.
Für mich war diese Arbeit zweifellos eine der schwierigsten und interessantesten. Ich habe versucht, den Frieden der Erzählung vom Leben dieser Heiligen und der Harmonie der Familie in die Arbeit einfliessen zu lassen, um die Göttlichkeit der Liebe zu zeigen.